Wind & Der zweite Versuch
Medizin-Gewimmer, in einer kindlich hohen Tonlage, die Eddies Zehennägel zum Aufrollen brachte. Recreation Area Brunautal. Das zwei Meter hohe Logo an der Stirnseite der area berichtete, daß diese Institution McDonalds gehörte, McDonalds wiederum gehörte dem größten deutschen Netzpornovertrieb mit dem sinnigen Namen S.E.X. (Sigmund Erlanger X-perience), und Eddie hätte normalerweise hier nicht gehalten. (Eddie lehnte nicht Pornos ab, nur seine Beschäftigung mit ihnen, Eddie schämte sich, noch vom geschlossenen Haus her.) Das Gebäude sah aus wie ein auf das Zehnfache aufgeblasener großer Schwarzwälder Gasthof, Gemütlichkeit XXL, dreihundert Betten, fünfzig Netspacekabinen mit S.E.X.-ware, Erlebnisbad für die ganze Familie, McDonalds-Restaurant und Kiosk. Eddie ließ Tina im Rad zurück. Der Kiosk war so groß wie ein ausgewachsener Supermarkt, er hielt sich der Übersicht wegen an die Auslegeware an der Kasse. Die Verkäuferin sah so aus wie die Schauspielerinnen in den S.E.X.-clips und verstrahlte überbordende vaginale Willigkeit, Eddie wanderte um die Wolke ihres Pheromonparfums herum, wie ein Boxer um den Angstgegner mit der weit ausladenden rechten Geraden. Die Energiebarren lagen neben den Haschzigaretten (Marke Blue Kairo), es gab auch Energiedrinks (Pop it up und Stardust), aufputschenden Kaugummi (Spacegum) und all das andere Zeug, was sich gerade noch unter dem Betäubungsmittelgesetz hindurchquetschen konnte. Er nahm an, daß eine Kombination von all dem ihn nach Frankfurt bringen würde. Plus fünf Tüten Kartoffelchips, einen Dreiliterkanister Vittel und etwas Süßkram, nur damit er schnell hier wieder herauskam. Die Verkäuferin runzelte ihre Stirn über sein Ersatzgeld, und als sie fertig addiert hatte, mit einem Taschenrechner, der genau zu diesem Zweck neben dem Chipkartenscanner lag, fragte sie ihn in ihrer sexualpsychologisch ausgefeilten Stimme:
»Geben Sie mir Ihre Chipkarte, bitte? Ich werde Ihnen die Differenz gutschreiben.«
Er wollte gerade seine Karte zücken, da begriff er, daß er aufs Glatteis geführt werden sollte. Er sagte demütig:
»Ich habe meine Karte verloren. Ich brauche leider Bargeld.«
Widerwillig und schmollend tippte die Verkäuferin eine Schublade in der Theke an, kramte betont gelangweilt darin herum und gab ihm schließlich zögernd die kleineren Kärtchen und Plastikmünzen heraus, die sie dort gefunden hatte. Er trollte sich, eine Tüte aus Recyclingpapier im Arm, mit einem kopulierenden Paar darauf. (Kinder bekamen die Version mit den lustigen tanzenden Bären.) Im Rad stellte Eddie fest, daß die Verkäuferin ihn betrogen hatte. Das wäre ein Spaß, mit einem der Gewehre zurückzugehen und mir den Rest auch noch zu holen, dachte er. Tina sah nicht einmal hin, als er ihr einen der Energiebarren hinhielt.
Nachtfahrt. Er geriet durch den Mist, den er in sich hineinstopfte, in ein psychisches Kontinuum zwischen Schlafen und Wachen, zwischen Himmel und Erde, zwischen Traum und Terror. Nachtfahrt. Schwebende Lichter über geräuschdämmendem Asphalt der letzten Generation, Unfallstellen, Parkplätze, Polizeikontrollen. Bei Wedemark ein Lichtgewitter einige Kilometer landeinwärts, zuckende Atompilze, grüne Rutschbahnen in den Himmel, langsam aufsteigende Blasen. Disco Deutschland. Beinahe wäre er nach Hannover abgebogen, er wendete noch auf der Abfahrt. Nur daran und an kleinen huschenden Tieren in seinen Augenwinkeln merkte er, wie übernächtigt er war. Seinen schmerzenden rechten Fuß hatte er mit einer Injektion und einem schmerzstillenden Pflaster aus dem kleinen Verbandskasten ruhiggestellt, das war eine Lösung für diese eine Nacht. Auf Parkplätzen versuchte er manchmal, Tina zu reanimieren, kaum daß er selber noch lebte, half da wohl Mund zu Mundbeatmung? Nachtfahrt. Er war jetzt beinahe ununterbrochen gefahren, wenn man die zwei bis drei Stunden Pause abrechnete, und er war seiner Trainingsdisziplin dankbar, eine Stunde auf dem Hometrainer auf Bravo West hatten ihn besser auf eine solche Tour vorbereitet, als zu erwarten gewesen war. Außerdem holte er aus dem Hilfsmotor alles heraus, was herauszuholen war. Die Anzeige für die Energiereserven tendierte jetzt, in der Nacht, unbeirrbar gegen Null. Trotzdem waren seine Beine schon ziemlich gefühllos. Nach Mitternacht öffnete sich noch einmal eine Streßschleuse in seinem Nervensystem, und er fuhr eine Weile in einem rosa Nebel, der sich langsam von traumsatten Begriffen durchwandern
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