Wind & Der zweite Versuch
ließ, schwerfällige haarige Tiere, die nach jedem vierten Schritt den Kopf umwandten und nachsahen, ob ein nächster Gedanke ihnen folgte. Disco … Polizei … Witwe … Seelenbeatmung … Rotorblatt … Bullen … Hilfsmotor … Schlafen. Bei Göttingen, etwa um drei Uhr morgens, begann dieser Effekt seine Wirkung zu verlieren, und eine Viertelstunde später war er bereit, sich erschießen zu lassen für ein Bett. Mit seiner vorletzten Kraft rollte Eddie auf einen Parkplatz und schlief schon ein, während das Rad noch von einem Gummipolier abprallte, auf den er ein wenig unsanft aufgefahren war. Er träumte sofort einen eisklaren Traum. Der Traum begann mit einem sanften Tappen an der Kabine des Rads. Eddie öffnete die Augen, und draußen war die Polizei. Ein Bulle leuchtete mit seiner Taschenlampe die ganze Kabine aus, ein anderer zielte mit seiner Maschinenpistole auf seinen Kopf. Er war auch im Traum bereit, sich erschießen zu lassen. Überraschend ruhig und gelassen sagte Bulle Nr. 1:
»Personenkontrolle. Kann ich Ihre Papiere sehen?«
Eddie antwortete »Selbstverständlich« und sah an sich hinab. Wann hatte er sein T-Shirt gewechselt? Dieses hier forderte nicht mehr alle Rastapunks zur Vereinigung auf, sondern war von einem schlichten Grün und weder von Blut noch von Kotze noch von irgend etwas sonst bekleckert. Er würde sauber einfahren. Es schien ihm ewig zu dauern, bis er seinen ID-Chip herausgekramt hatte, der Bulle steckte ihn in das Lesegerät an seinem Handgelenk, verfolgte etwa zehn Sekunden die Daten, die über den kleinen Bildschirm rauschten, und gab ihn dann zurück.
»In Ordnung. Kann ich bitte die Papiere Ihrer Begleiterin auch sehen?« Der Bulle flüsterte fast. Witzig, dachte Eddie. Kein Papier hier. Kein Stückchen Papier.
»Muß das sein?« entgegnete er so zahm und so leise wie möglich. »Wenn ich noch lange hier herumkrame, wacht sie noch auf.«
»Wissen Sie«, sagte der Bulle, »Sie dürfen hier im Grunde sowieso nicht schlafen. Aber das geht mich nichts an. Es tut mir leid. Ich brauche die Papiere Ihrer Begleiterin.«
Ein Christ, dachte Eddie. Freundlich, aber mit einem klaren Sinn für das Unvermeidbare. Das kann nur ein Christ sein. Er fing zunächst an, in Tinas Tasche herumzufingern, und, Himmel, dieses Glücksgefühl in den Fingerspitzen, als er den Vierkant ihres ID-Chips ertastet hatte. Zu seinem Entzücken bewegte sich jetzt auch Tina in einer Art, daß man glauben konnte, sie fühle sich von dem grellen Licht der Taschenlampe unangenehm wachgeleuchtet. Perfekt. Der Bulle prüfte auch ihren Chip, er trat dazu sogar einen oder zwei Schritte zurück, um die Kabine nicht mehr so auszustrahlen. Keine Beanstandungen. Keine besonderen Vorkommnisse. Er wünschte Eddie zum Abschluß des Traums flüsternd eine gute Nacht und entfernte sich mit seinem Kollegen, der bis zuletzt die Maschinenpistole im Anschlag hielt. Eddie schaltete in einen anderen Kanal, noch während er in den Sitz zurücksank.
Morgens mit einem Ruck hoch aus dem Sitz, nur die Beine wollten nicht mit, protestierten, fühlten sich an, als hätte man die Adern mit geschmolzenem Blei ausgegossen, das immer noch nicht ganz erkaltet war. Er war noch am Leben. Er hatte geträumt, von der Polizei kontrolliert worden zu sein. Er war aber nicht verhaftet worden. Man wußte nur jetzt, wo er war. Wenn nicht schon vorher der Raffinerie-Nachtwächter alles gemeldet hatte, vorausgesetzt, Brauner II hatte ihn leben lassen. Wenn, warum, vielleicht. Man wußte, wo er war. Von seinen Beinen so unangenehm angeschmiedet an seinen Sitz fühlte sich Eddie eine ganze Weile lang nicht sehr terrorisiert, sondern viel eher wie angekommen, wie am Ziel, ruhig, im Auge des Orkans. Man hätte ihn immer noch erschießen können, und er hätte nur aus formalen und juristischen Gründen protestiert. Er war zu Hause. Mitten im Chaos breitete sich die Ruhe eines sommerlich windgewiegten Weizenfelds in ihm aus, so hatte er das Meer oft gesehen, abends, wenn das Grün, von dem die Pfeiler von Bravo West umspielt waren, sich schlagartig in ein schwarzes Blau verwandelt hatten, ein wogendes Ährenfeld, Landratte. Er mußte sich dazu zwingen, Tinas Zustand zu überprüfen. Wie wollte sie eigentlich je wieder aus dieser fötalen Umklammerung freikommen? War das möglich, daß Muskeln einschnappten wie Stahlfedern und nie mehr aufmachten? Er erinnerte sich schrecklich an die Erzählungen über die Endstadien des Tetanuskrampfs. Aber die
Weitere Kostenlose Bücher