Wind & Der zweite Versuch
der Spinner und Fehrenbach würden sich gut verstehen. Dieselbe Mentalität, du weißt schon. Soll das Ding doch hochgehen. Warum immer ich?«
»Der Aztekenfürst möchte laut Fehrenbach mit einem Polizeipsychologen sprechen, der etwas von Geschichte versteht. So hat er es gesagt. Wenn keiner kommt, zündet er, sagt er.«
»Und wenn einer kommt, dann auch. Okay, schön, dann sterbe ich eben. Ich bin eh schon so müd, daß mir alles egal ist, und Fehrenbach geht wenigstens mit drauf.«
Eine Viertelstunde später war er in der Luft und rauschte in einem SG-Hypercopter nach Immenstaad. Er hatte zwei Vitalin genommen und in den Schleier seiner Müdigkeit brannte des Stimulans kleine runde Löcher, durch die er hinaus in die Welt sah. Der Copter senkte sich wie ein großes Insekt auf einen Acker nieder; in der Nähe der hell ausgeleuchtete Bauernhof, in dem sich das Drama abspielte, die Sonne ging gerade über den Alpen unter. Ein anderer Copter landete nahebei, auf seinem Rumpf das Logo von Kanal 17, dem derzeit erfolgreichsten Blut & Tränen-Sender. Unter dem Abwind der Turbinen lief Willy mit den schwerbewaffneten SG-Leuten, einer ganzen vierten Gruppe von noch einmal zehn Mann, auf das Bauerngehöft zu, der Boden war feucht und lehmig, und Willy war furchtbar unwohl in seiner Haut. Ein Polizeipsychologe, der etwas von Geschichte versteht: das war wirklich zum Lachen. Vier Semester Geschichte hatten ihn zu diesem Job qualifiziert, deswegen hatte ihn der Computer im Hauptquartier ausgespuckt, aus keinem anderen Grund. Alles andere war egal gewesen, er hatte bloß das Anforderungsprofil erfüllt, das war alles. Während des Flugs waren ihm allerlei Brocken seiner historischen Halbbildung durch den Kopf gegangen, vor allem das, was sich in irgendeiner Weise auf die präkolumbianischen Hochkulturen Mittel- und Südamerikas beziehen ließ, aber das war nicht viel gewesen. Azteken, Mayas, Inkas. Bemalte Goldbleche, Menschenopfer, Bewässerungssysteme, kleine Tonfiguren mit aufgerichtetem Penis etc. etc. Nichts Zusammenhängendes, nichts von Bedeutung. Wie schon häufiger kam sich Willy wie der reine Hochstapler vor, wie ein Wichtigtuer; wenn’s hoch kam, konnte er die Bescheuerten so lange von dem abhalten, was sie tun wollten, bis sie eingefangen wurden oder bis ein Scharfschütze sie erledigte. Jahrelang hatte Willy diese Erkenntnis in einer Form von zynischem Professionalismus vor sich hergetragen, aber selbst dieser Zynismus begann sich in letzter Zeit rauszuwaschen, darunter kam nichts als Leere zum Vorschein, und davor fürchtete sich Willy wie vor der Pest. Sie liefen auf das Haus zu, und Willy konnte spüren, wie der Lehm an seinen Schuhen pappte. Das ganze Gebäude war in helles, gleißendes Schweinwerferlicht getaucht, das würde die Kameraleute von Kanal 17 sicher freuen, aber die freute es wahrscheinlich auch, wenn sie bei der Explosion möglichst nahe an der Bombe dran waren. Dann konnten die Fernsehzuschauer zu Hause die Detonation erst live und später noch einmal in slow motion miterleben. Innen sah es schlimm aus. Überall in den Räumen, die durchweg in freundlichen anthroposophischen Farben gehalten waren, lagen Leichen in verdrehten Körperhaltungen umher, Männer, Frauen, Kinder, manche hatten Löcher im Kopf, einem kleinen Jungen war die Kehle aufgeschlitzt worden, so daß er inmitten seines eigenen Bluts lag. Willy wurde von mehreren SGlern an den offenen türlosen Zimmern rasch vorbeigezogen, aber bei dem Jungen mit der aufgeschlitzten Kehle blieb er eine Weile stehen. Das Kind lag auf dem Rücken, die Augen waren geschlossen, das Blut an der klaffenden Wunde fing schon an zu verkrusten. Der Junge war in eine eigenartige Tracht gekleidet: eine Art Poncho in Schachbrettmuster, das in Brusthöhe in ein kräftiges Rot überging, fast von der Farbe seines eigenen Bluts. Unter dem Überwurf war das Kind nackt. Auf seinem Bauch lag ein Püppchen, das mit einem Wollumhang von derselben Art umwickelt war und auf dem Kopf eine Federkrone trug. Die Federkrone war leicht verrutscht. Ein SGler zog ihn von dem Kind weg und steckte ihm einen winzigen Transceiver in die Tasche, sofort erfüllten Geräusche seine Ohren, und er begriff erst nach einer Weile, daß das die Feuerwerker waren, die unten im Keller die Bombe entschärfen wollten. Der SGler flüsterte ihm ins Ohr:
»Wir haben die Machart jetzt gecheckt, meine Leute sagen, daß sie das Ding in einer halben Stunde entschärft haben können. Können Sie
Weitere Kostenlose Bücher