Wind & Der zweite Versuch
meisten, die jetzt an ihren virtuellen Bildschirmen Anns Bewegungen verfolgten, wußten überhaupt nichts davon); es hatte den nötigen Medienrummel um Apollo II gegeben und zwar in allen Staaten Nordamerikas, und Ann hatte spätestens seit einer Talkshow auf ATN, deren Verbreitung unwidersprochen als nationwide bezeichnet worden war, das Gefühl a) auf dem Weg zum Mond zu sein, und b) auf diesem Weg genau die innere Mission zu erfüllen, von der in der Kontaktgruppe immer wieder die Rede gewesen war: die Mission, ein Land durch Nationalstolz zusammenzukitten. Ann selbst waren die wiedererstehenden USA relativ gleichgültig, sie war Astronautin. Die politischen Hintergründe der Mission interessierten sie nur insofern, als sie es ihr ermöglichten, zum Mond zu fliegen. Außerdem hatte sie während der Vorbereitungen für diesen Flug einige Sachen über die alten USA erfahren, die sie eine Neuauflage gar nicht wünschen ließen. Ann war jünger als die Zersplitterung Amerikas; was sie anging, kam sie aus der Republik Nordkalifornien. Hatte sich Neil Armstrong vor seinem Tod Gedanken über den Vietnamkrieg gemacht, kurz bevor der Funkkontakt mit Houston abgebrochen war? Ann würde Neil Armstrong besuchen gehen, im Meer der Stille. Glatte Sache. Sie hatte mit der Kontaktgruppe, der CSS, Duvalier, den saudiarabischen Geldgebern und dem Teufel selbst einen Handel abgeschlossen: ihr gebt mir eine Rakete, und dafür sage ich niemandem, warum ihr das tut. Die Bahndaten sahen gut aus, den Extrapolierungen der Anima-5c zufolge würden einige der geplanten Korrekturzündungen überflüssig sein. Sie drehte ihren Kopf nach rechts und sah Michael in die Augen; links neben ihr lag Ron, und sie wandte sich rasch ab. Sogar sie selbst wußte nicht, ob nun Ron oder Michael der CSS angehörten, darüber war Geheimhaltung vereinbart worden, und keiner der beiden hatte sich in den langen Stunden im Simulator eine Blöße gegeben. Zuerst war Ann die Vorstellung unangenehm gewesen, zusammen mit einem religiösen Fanatiker eine solche Reise zu unternehmen, mit dem sie sich sonst nicht einmal zusammen an einen Tisch gesetzt hätte, aber wenn einer der beiden Copiloten von einer irrationalen Ideologie gesteuert wurde, dann hatte er es bis jetzt sehr gut verborgen. Ann killte die Echtzeitleitung von ATN, die den Innenraum der Kapsel mit Milliarden von Fernsehempfängern verband; wie sie nicht anders erwartet hatte, meldete sich kurz darauf Houston auf einem fraktalisierten Kanal, dem für Geheimbesprechungen.
»Columbia, hier Mission Control.«
»Yep«, sagte Ann auf ihre flapsige Art.
»Ann, warum haben Sie die Fernsehleitung unterbrochen? Nach dem Zeitplan müßte ATN noch acht Minuten auf Sendung sein. Delgado tobt.«
»Warum schieben Sie abends Vorhänge vors Fenster? Ich werde jetzt schlafen gehen, Ron und Michael träumen schon, und ich habe nicht die Absicht, mir dabei zusehen zu lassen, wie ich mir die Zähne putze. Ich soll eine Heldin sein. Eine Heldin wird nicht dabei beobachtet, wie sie sich abends die Socken auszieht, sondern nur dabei, wie sie Wunderdinge vollbringt, zum Beispiel auf dem Mond herumzuspazieren. Sagen Sie das Delgado.«
»Aber der Zeitplan sagt …«
»Der Zeitplan sagt, daß unsere Vorbereitungen zum Einschlafen übertragen werden. Die Vorbereitungen sind abgeschlossen. Artikel 5 der Vereinbarungen zwischen der Kontaktgruppe und den Medien besagt …«
»Ich weiß, was diese Vereinbarung besagt«, kam es gereizt zurück. »Überspannen Sie es nicht, Ann. Noch eine solche Eskapade, und Sie dürfen sich selbst mit Delgado auseinandersetzen.«
»Aber mit dem größten Vergnügen. Sogar persönlich. Wenn ich zurück bin. Gute Nacht.«
»Gute Nacht, Columbia.«
Michael hob einen Daumen zum Zeichen seiner Zustimmung. »Gut gebrüllt, Löwe!« Ann lehnte sich in ihren Sessel zurück und atmete durch. Wie anstrengend das alles war. Einmal stündlich, abgesehen von den Schlafpausen, zwang sie eine Fernsehgesellschaft, Instrumente abzulesen, die nichts anzeigten, Kommentare abzugeben, die nichts bedeuteten, und Experimente durchzuführen, die nichts ergaben. Alles wissenschaftliche Beiwerk hatte man bei Apollo II aus Kostengründen weggelassen, trotzdem hatte die Kontaktgruppe geglaubt, man müsse den Zuschauern irgendwie einen wissenschaftlichen Nutzen bei der Mission vorgaukeln, und deswegen mußten Ron und Michael, der ›Biologe‹, grünliche Blasen in Glaszylindern vor die Kamera halten, um Experimente zum
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