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Wind & Der zweite Versuch

Wind & Der zweite Versuch

Titel: Wind & Der zweite Versuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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den beiden auf dem geometrischen Tuch näher. Es roch angenehm in dem Raum, wie nach Zedern- und Sandelholz. In seinen Ohren klingelte es vor Müdigkeit und vor Aufregung, von dem Gemurmel der Feuerwerker im Keller einmal abgesehen.
    »Atahualpa ist der Herrscher über die Inka. Wie finden Sie die Versammlungshalle der Inka?«
    »Sie gefällt mir ausgezeichnet«, sagte Willy und plötzlich rastete eine Erinnerung aus einem langvergessenen Seminar über historische Indianerkulturen ein. Er drehte seinen Kopf zu der Sonnenscheibe und sagte:
    »Der Schweiß der Sonne.«
    Als er Atahualpa-Müller wieder ins Gesicht sah, fand er dort das reine Glück vor.
    »Sie sind der richtige Mann«, sagte der Inka und tätschelte Willys Hand. »Mit jemand wie Ihnen wollte ich reden. Sie werden mich verstehen können. Sie halten mich für verrückt, aber Sie werden mich immerhin verstehen können. Ihr Kollege hier«, und er nickte zu Fehrenbach herüber, der nichtssagend lächelte, »versteht gar nichts. Er ist krank. Bevor ich zu der Entscheidung kam, die Inka Inti zu opfern, habe ich Menschen wie ihn durch bloßes Handauflegen geheilt. Zum Beispiel die Coya. Die Coya litt vorher an Wahnvorstellungen, danach nicht mehr.«
    ›Coya?‹ fragte sich Willy, ›wer ist die Coya?‹
    Offenbar wartete Müller darauf, daß Willy das Gespräch eröffnen würde. Willy wußte aber nicht, wie er das Gespräch eröffnen sollte, ohne den Mythos zu zerstören, er sei ein Kenner der Inkakultur, und außerdem fand er das nicht recht ehrerbietig, in Gegenwart eines Halbgotts einfach in flüssigen Konversationston zu verfallen. Ihm fehlten die Worte.
    »Pizarro war dumm«, sagte Müller in keine bestimmte Richtung, aber bei einem Seitenblick bemerkte Willy, daß Fehrenbach genau wußte, wer gemeint war. »Pizarro ist immer noch dumm. Er kann nicht einmal lesen. Aber du, lieber Willy, du wirst verstehen können, was ich dir jetzt erzähle. Ich glaube, du interessierst dich dafür, warum ich das Volk der Inka habe opfern müssen?«
    Willy nickte. In seinen Ohren das laute Atmen der Feuerwerker.
    »Das Volk der Inka war mein über alles geliebtes Volk. Aber die ganze Göttergemeinschaft ist in Aufruhr. Hörst du mir zu?«
    Er zeigte mit dem Zünder auf Willy.
    »Jawohl, Euer Hoheit.«
    »So ist es gut. Warum ist die Göttergemeinschaft in Aufruhr? Man will Mama Quilla beleidigen. Wer tut so etwas? Die dummen Amerikaner tun so etwas. Sie schicken einen Feuerwagen zum Mond und beleidigen die Mama Quilla. Aber das können die Götter nicht hinnehmen. Huiracocha, die Pacha Mama, die Mama Quilla, Illapa und Inti selbst sind aufs äußerste erregt über die Frechheit der Amerikaner. Sie wollen sogar auf dem Mond landen! Das ist ein widerlicher Frevel. Ich war seit langem sehr in Sorge darüber. Und vorgestern nacht ist mir Inti im Traum erschienen, mit schlangenumkränzten Armen, und hat mir gesagt, was ich tun soll. Wie einst dem Pachacutec, dem Erschütterer des Erdkreises. Inti wollte Rache, er wollte Blut für den Frevel der Amerikaner.«
    »Euer Hoheit«, sagte Willy ehrerbietig, »die Amerikaner sind schon einmal auf dem Mond gelandet, vor hundert Jahren.«
    »Ich wußte, daß du so etwas sagen würdest. Weil du mich für verrückt hältst. Sind die Frevler damals zurückgekehrt? Hat sich Inti nicht bitter gerächt, indem er so heiß brannte, daß man sich für lange Jahre kaum noch im Freien aufhalten konnte? Er hat uns die richtigen Zeichen gegeben, nur wußten die meisten sie nicht zu deuten.«
    Armstrong und Aldrin und das Ozonloch, dachte Willy. Geschlossenes System. Verrücktenlogik.
    »Ich verstehe, Euer Hoheit«, sagte er.
    »Nein, das tust du nicht. Aber fast. Jedenfalls besser als der dumme Pizarro. Soll ich dir sagen, warum ich euch hierhergelockt habe?«
    »Sagen Sie es mir, Atahualpa.«
    »Weil mir Inti gestern nacht noch einmal im Traum erschienen ist. Er wollte mehr Blut, als mein geliebtes Volk ihm geben konnte. Er will eures auch. Und deswegen …« Und er hob seine rechte Hand mit dem Zünder. In diesem Moment kam aus dem Keller die geflüsterte Meldung, daß die Bombe entschärft sei, Willy sah Fehrenbach an, und Fehrenbach begann zu grinsen. Atahualpa Müller stand in einer einzigen eleganten Bewegung auf und sah sie beide milde an. »Ihr beide …«, wollte er sagen, aber im nächsten Moment dröhnte es irrsinnig in Willys Ohren, und der Kopf Atahualpas verschwand einfach von seinem Hals, so sah es jedenfalls aus. Willy saß immer

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