Wind Die Chroniken von Hara 1
»Deine Freunde sind längst über alle Berge. Die holen wir mit unseren ausgelaugten Pferden nicht mehr ein. Außerdem brächte uns dieser Plan zu dicht an die Dabber Glatze, und das Risiko möchte ich nicht eingehen. Nein, lass uns quer durch die Felder reiten. Ich kenne den Weg. In fünf Tagen bist du in Alsgara. Dort triffst du die anderen wieder.«
»Was meinst du, ist Shen noch rausgekommen?«
»Ich hoffe es sehr.«
Aber in seinen Augen las ich, dass er mir nur die bittere Wahrheit ersparen wollte. Ich warf einen letzten Blick auf die Dabber Glatze, nickte Giss zu und bekundete damit, dass wir weiterreiten könnten.
Kapitel
14
Talki hatte nicht gelogen. Das Geflecht des Zaubers überzeugte in der Tat durch seine Schlichtheit. Und auch die Kräfte der Verdammten reichten aus, um auf Anhieb in den Körper des erhängten Gardisten zu schlüpfen. Kaum hatte sie zum ersten Mal in einer neuen Hülle gesteckt, entzündete sich ihr schlummernder Funken. Vor Freude wäre Thia fast erstickt. Sie hatte derart aufgeschrien, dass der in seiner Angst ganz grüngesichtige Hauptmann Nay vor der wiederbelebten Leiche zurückgewichen, über einen Schweinetrog gestolpert und schließlich im Mist gelandet war.
Allerdings hatte sich Thia am Ende doch zu früh gefreut: Der geborgte Körper bot ihr längst nicht die Möglichkeiten wie ihr alter. Das Gefühl der Leichtigkeit war gänzlich verschwunden. Ebenso die Begeisterung, die sie empfand, wenn sie in den tosenden, ungebändigten Wasserfall allgegenwärtiger Macht sprang. Thia blieb also auch weiterhin die schwächste der Sechs Verdammten. Selbst die von ihr so verachtete Mithipha brachte mühelos mehr zustande als sie.
Was für eine Schmach!
Ihr einziger Trost bestand in dem Wissen, dass sich jede Schreitende ein Bein ausreißen würde, um auch nur über die Fähigkeiten zu verfügen, die sie, Thia, selbst jetzt noch besaß. Für die Absolventinnen der Schule im Regenbogental kam ihre Macht immer noch einem Geschenk der Götter gleich.
Thia blieb nur zu hoffen, dass sie mit der Zeit alles zurückerlangen werde. Dafür musste sie jedoch diesen Heiler in die Finger bekommen. Aber das würde sie schaffen, denn sie hatte den Bogenschützen, der ihren Körper vernichtet hatte, gekennzeichnet, ohne dass dieser es bemerkt hatte. Die Markierung zeigte zurzeit nach Westen und leuchtete mit jedem Tag heller.
Nachdem Thia Pork härter an die Kandare genommen hatte, bereitete ihr dieser kaum noch Kopfschmerzen. Sie fügte anderen niemals Schmerz um ihres eigenen Vergnügens willen zu. Das war eine Spezialität Rowans, den sie gerade deswegen verachtete. In der jetzigen Lage blieb ihr jedoch nichts anderes übrig, als zu diesem Mittel zu greifen, denn sobald ihr Geist in den Körper des Toten geströmt war, gewann der schwachsinnige Junge an Willenskraft und begehrte auf.
Noch am selben Tag hatte sie Pferde besorgt und war zusammen mit Pork zur Jagd auf die Flüchtlinge aufgebrochen. Natürlich hätte sie ein paar Dummköpfe mit sich nehmen können, damit sie später auf deren Körper hätte zurückgreifen können. Doch sie hoffte, unterwegs einen weiblichen Körper zu finden, denn der des Mannes dämpfte von Anfang an ihre Stimmung.
Wie Thia befürchtet hatte, hielt sich der Schwachkopf dermaßen schlecht im Sattel, dass ihn jede Vogelscheuche in der Reitkunst übertrumpft hätte. Sie musste ihn die ganze Zeit über im Auge behalten. Obwohl sie keinen eigenen Körper mehr besaß, brauchte sie Schlaf. Das hatte dazu geführt, dass sich der Tölpel in der ersten Nacht, kaum dass sie eingeschlafen war, hatte davonmachen wollen. Daraufhin hatte sich die Kette, die sie an den Trottel band, derart gespannt, dass sie wie ein Korken aus einer Flasche morassischen Perlweins aus dem Körper des Toten geschossen war.
Nicht gerade die sanfteste Art, um geweckt zu werden. In ihrer Wut hätte sie den Dummkopf beinahe verstümmelt. Danach unterblieben weitere Fluchtversuche Porks. Sein Geist kämpfte nicht länger um die Kontrolle über den Körper. Immerhin, ein Problem weniger.
Nach drei Tagen taugte der erste Körper nichts mehr, und Thia baumelte wieder an Porks Rücken, was sie in wilde Rage versetzte.
Zum Glück kam sie den Menschen, die ihr so viele Schwierigkeiten bereitet hatten, immer näher. Das spürte sie. Sie trieb beide Pferde an, schlief kaum und rastete nur, damit die Tiere verschnaufen und der Hirte etwas essen konnte. Schließlich durfte dieser Trottel auf keinen Fall
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