Wind Die Chroniken von Hara 1
ein.
Lahen wartete im Herzen des Hafenviertels auf mich, unter einem überdachten Schankstand, an dem kalter Shaf verkauft wurde. Die Regentropfen trommelten wie wild aufs Straßenpflaster. Das Wasser floss unter den Tischen und Hockern dahin. Die Gäste des Ausschanks ließen sich an den Fingern einer Hand abzählen.
Mein Augenstern saß an einem der geschütztesten Tische und nahm immer wieder einen Schluck aus dem Eichenbecher. Sobald sie mich erblickte, lächelte sie erleichtert.
Die Kellnerin brachte mir ebenfalls einen Shaf und eine heiße Schweinswurst. Ich aß schweigend, Lahen sah mir zu. Sie war völlig durchnässt, die kurzen blonden Haare klebten ihr an der Stirn. Als ich fertig war, wischte ich mir die Hände ab, griff nach dem bereits tüchtig geleerten Becher und berichtete, was ich beobachtet hatte.
»Er ist vorsichtig«, meinte sie im Flüsterton. »So einfach kommen wir nicht an ihn heran.«
»Mit grober Gewalt kaum. Noch ehe wir die Kutsche erreicht hätten, wären wir in Stücke gehackt. Ein Pfeil scheidet auch aus. Denn selbst wenn ich Yokh treffen sollte, bleiben da immer noch die Nordländer. Die sind eine Klasse für sich – und würden uns so lange verfolgen, bis sie uns erwischen. Nein, einen Angriff auf die Kutsche halte ich für zu riskant.«
»Also müssen wir uns Dreifinger zu Hause vornehmen«, hielt Lahen fest.
»Geht das?«
»Ich denke schon. Aber mit etlichen Vorbehalten.«
»Und die wären?«
»In den letzten sieben Jahren hat sich unser Freund nach einem neuen Nest umgesehen. Und was er gefunden hat, gibt uns wenig Grund zur Freude. Er hat sich eine Villa in der Zweiten Stadt gekauft, auf einem Hügel inmitten von Gärten, dicht an der Hohen Stadt. Allein dorthin zu gelangen ist schwierig. Das Anwesen selbst gleicht einer Festung, die noch dazu in der Nähe der Kasernen liegt, in denen die Garde des Statthalters untergebracht ist. Das Haupttor und die Dienstboteneingänge werden bewacht. Um das Grundstück herum gibt es eine Mauer, die ebenfalls bewacht wird, unter anderem von Nordländern. Und frag mich nicht, mit wie vielen Männern im Haus zu rechnen ist.«
»Wir kennen den Dienstplan der Patrouillen nicht. Wir wissen nicht, wie viele Leute er hat. Wir haben keine Ahnung, wo er schläft, wo er isst und wo er die meiste Zeit verbringt. Kurz und gut, es wäre Selbstmord, uns ins Haus einzuschleichen. Entweder laufen wir jemandem in die Arme oder wir finden Yokh gar nicht erst, weil wir keinen Plan des Hauses haben.«
»Trotzdem bleibt uns keine andere Wahl. Stünde mir mein Funke uneingeschränkt zur Verfügung, wäre die Sache kein Problem. Aber da müssen wir uns noch ein wenig gedulden. Andererseits dürfen wir nicht länger warten. Wir sollten es
jetzt
hinter uns bringen – oder das Ganze abblasen.«
»Dafür bin ich nicht nach Alsgara gekommen, mein Augenstern. Uns wird schon etwas einfallen.«
»Ob Moltz uns weiterhelfen kann? Er und Stumpf zerbrechen sich doch schon seit Jahren den Kopf darüber, wie man Dreifinger in die Finger bekommt. Lass ihn uns noch einmal besuchen.«
Moltz – das war keine schlechte Idee. Er könnte uns in der Tat helfen, vor allem da es in seinem eigenen Interesse lag.
»Aber erst, nachdem wir einen Spaziergang zum Hafen gemacht haben.«
Die Hauptstraße im Hafenviertel endete an den Docks und Piers. Trotz des schlechten Wetters wurde hier schwer gearbeitet. Zwar hatten nur wenige Schiffe angelegt, aber deren Ladung musste gelöscht werden. Der Statthalter deckte sich mit Vorräten ein. Für den Fall einer langen Belagerung.
Wir suchten eine Schenke auf, steckten dem Wirt einen Viertelsoren zu und stellten ihm ein paar Fragen. Der ließ die Münze rasch verschwinden und nickte in Richtung eines Tisches, an dem zwei Männer mit braungebrannten, wettergegerbten Gesichtern saßen. Den schwarzen Haaren, hohen Wangenknochen und Kinnbärten nach zu urteilen mussten sie aus der Goldenen Mark stammen. Vermutlich waren es Schmuggler oder Männer, die angesichts des drohenden Krieges ihr Schäfchen ins Trockene bringen wollten. Schließlich erbrachte der Verkauf von Lebensmitteln und Medizin zurzeit einen hübschen Gewinn.
Ohne auf eine Aufforderung zu warten, nahmen wir Platz. Prompt warf der ältere der beiden einen vielsagenden Blick auf seinen leeren Becher – und ich bestellte Shaf für alle. Kaum hatte die Kellnerin diesen gebracht, hoben die beiden die Becher, und der ältere wandte sich an Lahen: »Auf dein Lächeln, meine
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