Wind Die Chroniken von Hara 1
konnte, fragte Talki: »Erlaube mir die Frage, was er von dir wollte.«
»Er hat mir ein Geschäft vorgeschlagen. Er braucht ein Buch.«
»Dieser unartige Junge«, bemerkte Talki traurig. »Und was hat er dir im Gegenzug angeboten?«
»Er ist bereit, mit mir zu teilen.«
»Das ist … kein schlechtes Angebot. Ich hoffe, du hast dich darauf eingelassen?«
»Ja.«
»Eine kluge Entscheidung.«
»Könntest du mir vielleicht erklären, worum es dabei überhaupt geht?!«
»Mithipha ist nach wie vor in der Burg der Sechs Türme und durchstöbert dort die Bibliothek der Schreitenden. Sie ist ein kluges Mädchen und hat in der Tat viel entdeckt, das von Interesse ist. Darunter auch Aufzeichnungen des Skulptors.«
»Warum wissen die Schreitenden nichts von diesen Papieren?«
»Das würdest du nicht fragen, wenn du wüsstest, in welchem Zustand diese Bibliothek war. Die Pergamente zerfielen praktisch, sobald Mithipha sie auch nur in die Hand nahm. Trotzdem ist es ihr gelungen, zuvor noch einiges zu lesen.«
»Dann sag mir doch bitte, was in diesen Papieren stand.«
»Anscheinend hat der Skulptor in Alsgara ein Tagebuch versteckt. In dem er festgehalten hat, wie die Wegblüten zu schaffen sind.«
Das erklärte einiges. Unter anderem, warum sich Rowan auf dieses Geschäft eingelassen hatte. Denn wer das Geheimnis der Wegblüten kannte, dem würde eine enorme Macht zu Gebote stehen. Der könnte sich über die anderen Gebieter und Gebieterinnen erheben. Neue Wegblüten schaffen als Ersatz für jene, die Soritha zerstört hatte. Damit könnte er die ganze Welt beherrschen. Wenn das stimmte, würde eine wilde Jagd auf dieses Buch entbrennen.
»Ich traue meinen Ohren nicht!«
»Ich wollte es zunächst auch nicht glauben, dann habe ich jedoch darüber nachgedacht und mich gefragt: Warum eigentlich nicht? Es könnte durchaus möglich sein.«
»Und wo befindet sich das Tagebuch?«
»Glaubst du wirklich, das würde ich dir sagen, wenn ich es wüsste?«, erwiderte sie mit einem traurigen Lächeln. »Wir wissen nur, dass es irgendwo in Alsgara sein muss. Vielleicht in einem der alten Bauten in der Hohen Stadt. Warum lächelst du so?«
»Mithipha ist wirklich selten dumm.«
»Ein wenig naiv, würde ich sagen.«
Was für eine tumbe Gans! Hätte sie, Thia, diese Aufzeichnungen gefunden, sie hätte nie ein Wort darüber verloren. Nicht eine Silbe. Aber Mithipha? Die musste ihre Entdeckung gleich in alle Welt hinausposaunen!
»Wem hat sie noch davon erzählt?«
»Nur mir. Ich hatte stets ein offenes Ohr für sie, deshalb vertraut sie mir.«
»Wie konnte dann Rowan davon erfahren?«
»Mir ist ein Wort zu viel entschlüpft. Als aufgeweckter Junge, der er nun einmal ist, hat er sich alles zusammengereimt«, antwortete Talki und lächelte zufrieden. »Nebenbei habe ich dann noch erwähnt, dass du auf dem Weg nach Alsgara bist, auch wenn ich mir da nicht vollkommen sicher war.«
Diese alte Hexe! Mit ihrem Geschwätz hatte sie Rowan dazu gebracht zu tun, was sie alle so lange Zeit vor sich hergeschoben hatten: Alsgara zu stürmen. Weil sie alle befürchteten, sich an den Mauern die Zähne auszubeißen. Selbst wenn Rowan die Stadt nicht würde nehmen können, wäre er doch zumindest eine Weile beschäftigt und käme Ley und Alenari nicht in die Quere, die auf dem Vormarsch zur Treppe des Gehenkten waren. Sollte es ihm jedoch gelingen, galt es immer noch, das Tagebuch zu finden. Das hatte in tausend Jahren niemand geschafft, ja, bis heute wusste man noch nicht einmal von seiner Existenz. Um diese Aufgabe zu bewältigen, war ein kühler Kopf vonnöten. Und den besaß Rowan nicht. Er war ein Krieger, kein Denker. Rethar, ja, dem wäre etwas eingefallen. Aber nicht seinem Bruder.
»Das ist … alles in allem nicht dumm«, urteilte Thia.
»Vielen Dank, mein Kindchen. Ich wusste, dass diese Sache nach deinem Geschmack ist.«
»Was ist mit Mithipha?«
»Sie ist immer noch in der Burg der Sechs Türme, um dort ihre Arbeit zu beenden.«
Beim Reich der Tiefe! Mithipha übertraf sich in ihrer Einfalt selbst. Wie konnte sie, nachdem sie dieses Geheimnis entdeckt hatte, weiter den Bücherstaub schlucken? Warum stürmte sie nicht wie eine Wahnsinnige nach Alsgara?!
»Rowan ist sich sicher, dass du weißt, wo der Skulptor das Buch versteckt hat, und es sagen wirst. Der Sohn des Abends hat mir angeboten, halbe-halbe mit ihm zu machen, wenn wir das Buch finden. Was bietest du mir?«
Talki stieß ein trockenes, hüstelndes Gelächter aus.
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