Wind Die Chroniken von Hara 1
über die Bühne gebracht. Erstklassige Arbeiten. Ganz exquisit, würde ich sogar sagen. Und nicht gerade einfach. Das Oberhaupt des Stadtrats vermisst seitdem einige seiner heißgeliebten und wohlbehüteten Kinkerlitzchen. Und die Frau des Hauptmanns der Garde hat entdecken müssen, dass ihr Kollier doch nicht so gut bewacht war, wie sie immer angenommen hat.«
»Für wen arbeitet er?«
»Offenbar ist er sein eigener Herr. Ein paar Burschen wollten ihm schon ans Leder – die hat man dann in irgendeinem Lager gefunden. Tot. Seitdem lässt man diesen Kauz in Ruhe. Moltz hat versucht, sich mit ihm ins Benehmen zu setzen, wurde aber … höflich abgewiesen.«
»Und das hat sich Moltz bieten lassen?«
»Ja. Wie gesagt, der Kerl hat äußerst höfliche Manieren an den Tag gelegt. Außerdem haben wir gedacht, wir könnten vielleicht mal einen Dieb brauchen. Und wie sich jetzt zeigt, hatten wir recht.«
»Und was, wenn er die Sache nicht übernehmen will?«
»Da werde ich mir was überlegen. Ich lasse euch wissen, was bei dem Gespräch herauskommt. Wo finde ich euch?«
Ich dachte kurz nach, dann nannte ich ihm einen Ort und eine Zeit.
»Schieb es nicht auf die lange Bank«, schärfte ihm Lahen ein, als wir aufbrachen. »Wir wollen nicht ewig in Alsgara hocken.«
Stumpf nickte und bedeutete uns mit einer Handbewegung, wir könnten jetzt gehen – eine Aufforderung, der wir nur zu gern nachkamen.
Kapitel
20
Die Nacht war mild und sternenklar. Der Mond hatte zugenommen und schien wesentlich heller als noch vor ein paar Tagen, ein weiterer Hinweis dafür, dass die Zeit nicht still stand und wir uns beeilen mussten. Uns blieben nicht mehr viele Tage, um diese Sache zum Abschluss zu bringen: einer nur, dazu zwei Nächte.
Vom Meer her wehte frischer Wind heran, und die Wellen schlugen mit leisem Plätschern gegen die Piers. Dies und ein kaum zu hörendes Knarzen der Takelage eines Handelsschiffs, das fünfzig Yard vorm Ufer vor Anker lag, waren die einzigen Geräusche, die die Stille durchbrachen. Inmitten aufgegebener Speicher und alter Fischerkähne war ich der einzige Mensch weit und breit. In der einen Stunde, die ich nun schon im Schatten zwischen einer Lagerhalle mit eingestürztem Dach und einem umgekippten Karren, dem das linke Vorderrad fehlte, lauerte, hatte sich hier niemand gezeigt. Nicht einmal die Stadtwache. Aber wen hätte die an einem solchen Ort auch schnappen sollen? Nachts kamen nur selten Menschen in diesen Teil Alsgaras, der mit seinem Dreck und Gestank selbst diejenigen abschreckte, die an beides von klein auf gewöhnt waren. Nicht mal Ratten huschten hier rum. Warum auch? Die Speicher waren schon vor zehn Jahren in einen anderen Teil des Hafens verlegt worden – und die Ratten würden ja wohl kaum alte, salzige Fischernetze annagen. Zumindest nicht jene Vertreter dieser possierlichen Tierchen, die etwas auf sich hielten.
Heute Morgen hatte ich Stumpf in einer kleinen, nach Räucherwaren riechenden Holzbude am Rand der Zweiten Stadt getroffen, wobei der Gijan als lustiger und rotgesichtiger, wohlhabender Handwerker aufgetreten war. Er hatte mit diesem Kauz ein Treffen vereinbaren können. Der Dieb hatte zwar bisher weder Ja noch Nein gesagt, aber immerhin eingewilligt, mich kennenzulernen, und ein Treffen im alten Teil des Hafens vorgeschlagen. Nachts. Außerdem hatte er verlangt, ich solle allein kommen, und obwohl Lahen damit gar nicht einverstanden war, ließ ich mich auch auf diese Bedingung ein.
Ich war bereits vor dem vereinbarten Zeitpunkt erschienen, um die Gegend auszukundschaften, falls Moltz oder der unbekannte Alleskönner es sich einfallen lassen sollten, mit gezinkten Karten zu spielen. Dann hatte ich mir einen unauffälligen Ort gesucht, um die Umgebung zu beobachten.
Ein sanftes Läuten, das die Glocken der Meloth-Tempel aussandten, wogte über die schlafende Stadt: drei Uhr.
Der Mann kam auf die Minute pünktlich – was mir aber beinahe entgangen wäre. Er näherte sich dem Treffpunkt aus der Richtung des Krabbenviertels, lief in einem Abstand von dreißig Yard an mir vorbei und betrat einen der Piers, um bis zu dessen Spitze vorzugehen. Über seinen Kopf hatte er eine Kapuze gezogen. Den Rücken hatte er dem Ufer zugekehrt, den Blick aufs Meer gerichtet.
Er war genauso groß wie ich, aber etwas schmaler in den Schultern und trug eine kurze, bequeme Jacke, feste Hosen sowie weiche Stiefel. Alles in grau-schwarzen Farben. Am rechten Oberschenkel hing ein ziemlich langes
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