Wind Die Chroniken von Hara 1
Luk. »Die Verdammte hat derart auf die Mauer eingedroschen, dass …«
Er ließ den Satz unvollendet. Ein bedrückendes Schweigen lastete auf den beiden Männern. Sie starrten ins Feuer und hingen ihren Gedanken nach.
Luk fand, er hatte unverschämtes Glück gehabt. Ga-nor war ein erstklassiger Fährtenleser und kein schlechter Kämpfer. Mit ihm waren die Aussichten, dieses Schlamassel zu überleben, weitaus größer als ohne ihn. Außerdem: Wenn ihm der Nordländer nicht zu Hilfe gekommen wäre, wäre er, Luk, inzwischen bereits ein toter Mann.
»Was machen wir jetzt?«, wollte er von Ga-nor wissen.
»Das Beste wäre wohl, wir schlagen uns zu meinen Leuten durch«, antwortete dieser. »Nach Tannenfurt zu gehen hat keinen Sinn, denn die Stadt ist längst genommen. Wenn du mich fragst, rückt Nabator jetzt gegen Okny und Gash-shaku vor. Damit wäre Alsgara von seinem Hinterland abgeschnitten. Gleichzeitig gibt es dem Feind die Möglichkeit, im Imperium selbst zum Schlag auszuholen.«
»Ich muss aber nach Alsgara«, erklärte Luk. »Die Schreitende hat mich gebeten, ihre Schwestern vom Auftauchen der Verdammten Scharlach in Kenntnis zu setzen.«
»Als ob das nicht eh schon alle wüssten.«
»Was, wenn nicht?«
»Dann werden sie es in Kürze erfahren. Jedenfalls eher, als du in der Alsgara eintriffst.«
»Ich habe es aber versprochen.«
Erstaunt starrte Ga-nor auf die stur zusammengepressten Lippen Luks. Wenn er eins nicht erwartet hätte, dann, dass dieser Hallodri sein Wort hielte.
»Wenn du nicht mit nach Alsgara kommst, gehe ich eben allein.«
»Hier gibt es nichts als Wald. Später triffst du auf die Blasgensümpfe. Das schaffst du nicht.«
»Wenn ich mich immer westlich halte, komme ich bis nach Hundsgras. Von da führt eine Straße nach Alsgara.«
»Glaubst du etwa allen Ernstes, die hätten die Nabatorer nicht längst abgeriegelt?!«, schnaubte Ga-nor.
»Ich muss es wagen. Was ist, begleitest du mich?«
»Lass uns das morgen entscheiden. Jetzt sollten wir erst mal schlafen. Ich bin sehr müde.«
»Dann halte ich Wache«, erklärte Luk mit neuem Mut. Der Nordländer hatte seinen Vorschlag nicht schlankweg abgelehnt, sondern versprochen, sich die Sache durch den Kopf gehen zu lassen. Kein schlechter Anfang. Denn hätte er sich kategorisch geweigert, würde er, Luk, ihn nicht überzeugen. Eher brachte man ja noch einen Ye-arre dazu, Seide zum Spottpreis zu verkaufen, als dieses hartschädlige Volk, seine Meinung zu ändern.
Luk schnappte sich sein Beil, setzte sich neben die Tür und legte die Waffe griffbereit neben sich.
»Weck mich gegen Morgen, dann löse ich dich ab«, sagte der Fährtenleser noch, ehe er sich mit dem Rücken gegen die Wand lehnte und die Augen schloss.
»Mhm. Ga-nor?«
»Ja?«
»Woher kamen diese Untoten? Bleiben die nicht eigentlich immer in der Nähe des Nekromanten, der sie zum Leben erweckt hat?«
»Normalerweise schon. Aber manchmal laufen sie ihm weg.«
»Wie das?«
»Auf ihren Füßen.«
»Aber jetzt tauchen doch keine neuen mehr auf, oder?«
»Wüsste nicht, dass sie inzwischen Spuren lesen können«, antwortete Ga-nor mit einem Gähnen. »Dafür sind sie zu dämlich. Also mach dir keine Sorgen. Weck mich, wenn was ist!«
Luk nickte, aber das sah Ga-nor schon nicht mehr: Er war bereits eingeschlafen.
Seufzend schielte Luk auf die Tür. Auch er gähnte herzhaft. Während er in den Regen hineinlauschte, der aufs Dach pladderte, starrte er ins niederbrennende Feuer …
Als Ga-nor erwachte, hörte er ein friedliches Schnarchen. Er fluchte. Selbstverständlich war Luk eingeschlafen – ohne ihn zu wecken. Das hätte sie das Leben kosten können. Aber sie hatten noch einmal Glück gehabt. Niemand hatte versucht, sie in ihrem Unterschlupf zu beehren, was bedeutete, dass sie diese Kreaturen endgültig abgehängt hatten.
Wenigstens etwas.
So wie ihn die Sonne blendete, musste sich das Wetter gebessert haben. Außerdem dürfte es bereits später Morgen sein. Wie lange er geschlafen hatte! Aber war das verwunderlich, nach alldem, was sie in den letzten Tagen durchgestanden hatten?! Insofern sollte er Luk vielleicht sogar dankbar sein, dass er ihn nicht geweckt hatte. Auf diese Weise konnte er sich endlich einmal ausschlafen.
Das gestrige Gespräch fiel ihm wieder ein. So unrecht hatte Luk nicht. Was sollten die Nabatorer in einem Kaff wie Hundsgras verloren haben? Abgesehen davon riss er, Ga-nor, sich keineswegs darum, mit leerem Magen durch den Wald zu ziehen.
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