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Wind Die Chroniken von Hara 1

Wind Die Chroniken von Hara 1

Titel: Wind Die Chroniken von Hara 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexey Pehov
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sie, drehte sie, stülpte ihr Inneres nach außen und spie sie auf eines der Lichter des Lebens, die den Menschen um sie herum gehörten. Die scharfen Nadeln der Magie des Heilers durchbohrten sie, vernähten sie mit der fremden Seele, zwangen sie, wie ein Anker am Rücken dieses unbekannten Menschen zu baumeln.
    Und sie ließ all das geschehen, denn es bedeutete ihre einzige Hoffnung. Sie drängte die Seele des Trottels kurzerhand zur Seite und übernahm die Kontrolle über seinen Körper.
    Licht und Leben waren ihr in die fremden Augen geschlagen. Die Haut spürte die Wärme der Sonne und die Zärtlichkeit des Windes. Luft strömte ihr in die Lungen, und Thia schrie durch den fremden Mund wie ein Neugeborenes. Der Verlust ihres Körpers rächte sich in marternden Schmerzen. Daraufhin lockerte sie die Zügel ein wenig, gab dem Jungen etwas von seinem Körper zurück, damit er nicht aufgrund der unerträglichen, fremden Gefühle den Verstand verlor. Und erst als sie sich mit seinen Augen am Boden sah – tot, blutig und zerschlagen –, schrie sie in Selbstmitleid auf, im vergeblichen Wunsch, alles möge nur ein Traum sein. Ein Albtraum, der sie umspann. Aber niemand außer Pork hörte sie.
    Erst jetzt, nach einigen Tagen, glaubte sie an die Realität dessen, was ihr widerfahren war. Was für ein infamer Streich des Schicksals! Ihr Geist war untrennbar mit einer fremden Seele verbunden! Und sie durfte diese Verbindung nicht einmal zerschlagen, denn damit würde sie das letzte Glied zwischen sich und dieser Welt kappen. Bitterer freilich war noch, dass sie existierte – aber von niemandem außer Pork gesehen wurde. Ohne Körper, als durchscheinender Geist, musste sie auf ewig im Rücken dieses Menschen baumeln. Oder zumindest bis zu seinem Tod. Was danach geschehen würde, daran dachte Thia lieber nicht. Sicher, ihr Geist würde wieder frei sein – aber nur, damit dann das Reich der Tiefe seine Aufmerksamkeit auf ihn lenkte.
    Und nirgendwo sah sie einen Weg, der aus dieser Falle herausführte. Sie steckte in einer Sackgasse.
    »Setz dich aufs Bett«, flüsterte Thia Pork ins Ohr. Der erschauderte, fand aber nicht die Kraft, sich gegen sie aufzulehnen.
    Sie achtete penibel darauf, dass die nackten Füße des Tölpels nicht auf die Glassplitter traten. Nun rebellierte der Kerl aber doch und versuchte, sie abzuschütteln. Immerhin zeigte sich Thia mittlerweile so vertraut mit dem Gebaren dieses Trottels, dass sie die Zügel sofort fester anzog und damit die vollständige Kontrolle über ihn zurückgewann. Der Zauber des Heilers, der noch immer nicht erkaltet war, verursachte ihr dabei allerdings unerträgliche Schmerzen. Als sie auf dem Weg zum Bett einen Stuhl umriss, brachte dieses Missgeschick das Fass zum Überlaufen. Sie fluchte fürchterlich. Warum musste dieser Körper nur so massig und behäbig sein? Warum konnte er nicht ein wenig mehr dem entsprechen, an den sie sich über Jahrhunderte gewöhnt hatte?!
    Die verhasste Hülle, die ihr so viel Kraft abnötigte, trieb sie geradezu in Raserei. Obendrein stank sie ekelerregend, und aus dem Mund tropfte ständig Speichel auf die Brust. Deshalb nahm sie sich nun das Äußere dieser schlaksigen Puppe vor: Sie veränderte nach und nach das Gesicht, arbeitete die Muskeln heraus und pumpte Kraft in sie hinein. Sie brauchte ein duldsames Pferdchen – keinen dummen Wallach. Noch zwei, drei Wochen – und seine eigene Mutter würde diesen Provinztrottel nicht wiedererkennen. Dann würde sie den Burschen nämlich nach ihren Wünschen geformt haben. Was ihr bisher jedoch überhaupt nicht glücken wollte, das waren die Augen.
    Dazu hatte ihr die Magie des Heilers zu viel genommen, nur ein spärliches Quantum ihrer einstigen Macht war ihr geblieben. Schwach und hilflos, wie sie nun war, würde jeder ihrer Brüder und Schwestern sie spielend besiegen. Selbst Mithipha, die ungeschickteste der sechs Verdammten.
    »Was soll ich bloß tun?«, hauchte sie, worauf Pork, der die ganze Zeit reglos auf dem Bett gesessen und stumpfsinnig auf einen Punkt gestarrt hatte, verängstigt zusammenzuckte und hinter sich blickte.
    Genau da lief jedoch eine warme Welle über ihren Rücken. Thia runzelte die Stirn. Talki nahm Verbindung zu ihr auf. Sie war die Einzige, deren Ruf mit einer solchen warmen Welle einherging. Wenn sich Alenari meldete, rieselte ihr ein Kälteschauder über den Rücken. Rowans Ruf brannte unangenehm, Ley pikte fordernd. Mithiphas Versuch, Kontakt herzustellen, begleitete

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