Wind (German Edition)
geflohen war. Ohne sie.
»Roland, höre mich sehr wohl. Ich weiß, dass du dich von deiner vornehmen Mutter betrogen gefühlt hast. So ist es auch mir ergangen. Ich weiß, dass die eine Hälfte von dir sie gehasst hat. Das war bei mir nicht anders. Aber wir haben sie beide auch geliebt und lieben sie immer noch. Du warst durch das Spielzeug vergiftet, das du aus Mejis mitgebracht hast, und bist zusätzlich von der Hexe getäuscht worden. Eines von beiden hätte nicht ausgereicht, das zu bewirken, was geschehen ist, aber beides zusammen, die rosa Kugel und die Hexe … Aye.«
»Rhea.« Ich spürte, wie mir brennende Tränen in den Augen aufstiegen, und drängte sie zurück. Ich würde vor meinem Vater nie wieder zu flennen anfangen. Nie wieder. »Rhea vom Cöos.«
»Aye, sie, die Schlampe mit dem schwarzen Herzen. Sie war es, die deine Mutter ermordet hat, Roland. Sie hat dich zu einer Waffe gemacht – und dann hat sie abgedrückt.«
Ich erwiderte nichts.
Er musste meine Verzweiflung gesehen haben, denn er beschäftigte sich wieder mit seinen Papieren und setzte hier und dort seinen Namen unter ein Schriftstück. Schließlich hob er wieder den Kopf. »Die Ammies werden Cort für einige Zeit versorgen müssen. Ich schicke dich mit einem deiner Ka -Gefährten nach Debaria.«
»Was? Nach Serenitas?«
Er lachte. »Ist das der Name des Zufluchtsorts, an den deine Mutter sich begeben hatte?«
»Ja.«
»Nicht dorthin, nein. Serenitas, was für ein Witz! Die Frauen dort sind schwarze Ammies. Sie würden dir bei lebendigem Leib die Haut abziehen, wenn du es wagen solltest, in ihre heiligen Hallen einzudringen. Die meisten der dortigen Schwestern ziehen den Langstab einem Mann vor.«
Ich hatte keine Ahnung, was er meinte – ihr müsst bedenken, dass ich damals noch sehr jung und trotz allem, was ich durchgemacht hatte, in vieler Hinsicht sehr unschuldig war. »Ich weiß nicht, ob ich schon einen weiteren Auftrag übernehmen kann, Vater. Von einer Ritterfahrt ganz zu schweigen.«
Er musterte mich kalt. »Das Urteil darüber, wozu du imstande bist, überlässt du gefälligst mir. Außerdem ist diese Sache nichts Großartiges – nichts wie die böse Geschichte, in die du in Mejis geraten bist. Es kann Gefahren geben, vielleicht gibt’s sogar eine Schießerei, aber im Prinzip handelt es sich nur um einen Auftrag, der erledigt werden muss. Teils um den Leuten, die zu Zweiflern geworden sind, zu demonstrieren, dass das Weiße noch stark und ungebeugt ist, aber hauptsächlich deshalb, weil Verbrechen nicht ungesühnt bleiben dürfen. Außerdem schicke ich dich wie gesagt nicht allein los.«
»Wer begleitet mich? Cuthbert oder Alain?«
»Keiner von beiden. Für den Possenreißer und das Schwergewicht habe ich hier Arbeit. Jamie DeCurry reitet mit dir.«
Ich dachte darüber nach und sagte mir, dass gegen Jamie Rothand als Begleiter gewiss nichts einzuwenden war. Allerdings hätte ich ihm Cuthbert oder Alain vorgezogen. Was mein Vater bestimmt gewusst hatte.
»Gehst du, ohne zu widersprechen, oder willst du mich an einem Tag, an dem ich viel zu tun habe, noch mehr ärgern?«
»Ich gehe«, sagte ich. In Wahrheit freute ich mich sogar darauf, das Schloss mit seinen düsteren Räumen, seinem Intrigengeraune und dem alles durchdringenden Gefühl, dass Dunkelheit und Anarchie unaufhaltsam näher rückten, verlassen zu können. Die Welt würde sich weiterbewegen, aber Gilead konnte nicht mit ihr Schritt halten. Diese glitzernde schöne Blase würde bald platzen.
»Gut. Du bist ein vortrefflicher Sohn, Roland. Das habe ich dir vielleicht noch nie gesagt, aber es ist wahr. Ich trage dir nichts nach. Rein gar nichts.«
Ich senkte den Kopf. Wenn dieses Gespräch irgendwann zu Ende war, würde ich mich irgendwo verkriechen und meinem Herzen freien Lauf lassen, aber nicht hier. Nicht hier vor ihm.
»Zehn oder zwölf Räder jenseits des Anwesens – Serenitas oder wie die Schwestern es sonst nennen – liegt am Rand der Alkalisenke die Stadt Debaria. Debaria selbst hat nichts Heiteres an sich. Es ist der staubige, nach Mist riechende Endpunkt einer Eisenbahn, mit der Rinder und Salzblöcke nach Süden, Osten und Norden transportiert werden – nur nicht dorthin, wo dieser Hurenbock Farson sich mit seinen Leuten zusammenrottet. Heutzutage gibt es weniger große Rinderherden als früher, die zur Bahn getrieben werden, und Debaria wird in nicht allzu ferner Zukunft – wie leider so viele andere Orte in Mittwelt auch – zur
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