Wind (German Edition)
weißt.«
»Natürlich.«
»Mein Vater hat gesagt, dass die Frauen in der Zuflucht von Debaria den Langstab einem Mann vorziehen. Weißt du, was er damit gemeint hat?«
Jamie betrachtete mich eine Weile schweigend – wie um sich zu vergewissern, dass ich ihn nicht auf den Arm nehmen wollte –, dann zuckten seine Mundwinkel. Nach Jamies Maßstäben war das ungefähr so, als würde er sich den Bauch halten, über den Fußboden rollen und vor Lachen heulen. Was Cuthbert Allgood bestimmt getan hätte. »Er muss gemeint haben, was die Huren in der Unterstadt einen Ersatzschwanz nennen. Hilft dir das weiter?«
»Wirklich? Und sie …? Verwöhnen sich damit gegenseitig?«
»Das sagen die Leute, aber viel Gerede ist nur Blabla. Du weißt mehr über Frauen als ich, Roland; ich habe noch bei keiner gelegen. Aber das macht nichts. Irgendwann werd ich’s tun. Erzähl mir, was uns nach Debaria führt.«
»Dort terrorisiert angeblich ein Fellmann die guten Menschen. Vielleicht auch die bösen.«
»Ein Mann, der sich in irgendein Tier verwandelt?«
Tatsächlich waren die Dinge in diesem Fall etwas komplizierter, aber er hatte das Prinzip erfasst. Der Wind blies heftig und schleuderte ganze Hände voll Alkali gegen die Seite unseres Wagens. Ein besonders starker Windstoß ließ unseren kleinen Zug schlingern. Unsere leeren Haferbreischalen gerieten ins Rutschen. Wir fingen sie auf, bevor sie auf dem Fußboden zerschellten. Hätten wir das nicht instinktiv gekonnt, ohne auch nur darüber nachzudenken, wären wir es nicht wert gewesen, unsere Revolver zu tragen. Allerdings war der Revolver nicht Jamies Lieblingswaffe. Wenn er die Wahl hatte (und genug Zeit, sie zu treffen), entschied er sich stets für seinen Bogen oder seine Armbrust.
»Mein Vater glaubt nichts von alldem«, sagte ich. »Vannay dagegen schon. Er …«
In diesem Augenblick wurden wir nach vorn gegen die Sessel vor uns geworfen. Der alte Diener, der gerade den Mittelgang entlangkam, um unser Geschirr abzutragen, wurde taumelnd gegen die Tür zu seiner kleinen Kombüse zurückgeworfen. Seine Vorderzähne flogen ihm aus dem Mund und landeten in seinem Schoß, was mir einen ziemlichen Schrecken einjagte.
Jamie lief den Gang hinunter, der jetzt sehr schräg war, und kniete bei ihm nieder. Als ich die beiden erreichte, hob Jamie gerade die Zähne auf, und ich sah, dass sie aus bemaltem Holz bestanden, das von einem kaum sichtbaren raffinierten Scharnier zusammengehalten wurde.
»Alles in Ordnung, Sai?«, fragte Jamie.
Der Alte rappelte sich mühsam auf, nahm sein Gebiss an sich und füllte damit den Leerraum hinter seiner Oberlippe aus. »Mir fehlt weiter nichts, aber dieses Miststück ist wieder mal entgleist. Nach Debaria fahre ich nie mehr! Ich habe zu Hause eine Frau. Sie ist eine alte Hexe, und ich will sie unbedingt überleben. Ihr jungen Leute solltet nach euren Pferden sehen. Mit etwas Glück hat sich keines ein Bein gebrochen.«
Unsere Pferde waren unverletzt, aber sie stampften nervös und wollten aus dem engen Waggon heraus. Wir ließen die Rampe herunter und banden sie an die Kupplung zwischen den Wagen, wo sie in dem heißen, mit Staub durchsetzten Westwind mit gesenktem Kopf und angelegten Ohren zur Ruhe kamen. Dann kletterten wir wieder in den Salonwagen, um unsere Gunna zu holen. Der Lokführer, ein breitschultriger, o-beiniger, stämmiger Mann, kam mit dem Diener im Schlepp den schräg liegenden Zug entlang auf uns zu. Als er uns erreichte, deutete er gewichtig auf etwas, was wir sehr gut selbst sehen konnten.
»Über die Hügel dort drübn führt die Landstraße von Debaria – seht ihr die Straßenpfosten? Den Weiberort könnt ihr in weniger als ’ner Stunde erreichen, aber spart euch die Mühe, diese Schlampen um etwas zu bitten. Ihr kriegt’s nämlich nicht.« Er senkte die Stimme. »Sie fressn Männer, hab ich gehört. Das ist nicht bloß Gerede, Jungs: Sie … fressn … die Männers. «
Ich hätte leichter an die Realität des Fellmanns glauben können, sagte aber nichts. Der Lokführer war von dem Unfall sichtlich mitgenommen, und eine seiner Hände war so rot wie Jamies Hand. Allerdings hatte er nur eine kleine Brandwunde, die bald abheilen würde. Dagegen würde Jamies Hand immer noch rot sein, wenn er eines Tages ins Grab gelegt wurde. Sie sah wie in Blut getaucht aus.
»Vielleicht locken sie euch und machen sonst welche Versprechungen. Vielleicht zeigen sie euch sogar ihre Tittchen, weil sie genau wissen, dass junge Männer
Weitere Kostenlose Bücher