Wind (German Edition)
Sheriff Peavy. Die anderen schickten wir weg und ließen sie im Schatten der Unterkunft warten, weil wir befürchteten, die Anwesenheit vieler Leute würde den Jungen nur noch mehr verwirren. Wie sich zeigte, konnte er uns nur sehr wenig Brauchbares erzählen.
»Mein Da’ hat gesagt, weil es in der Nacht warm werden soll, könnt ich auf der Weide neben der Koppel unter den Sternen schlafen«, berichtete Young Bill. »Dort wär’s kühler, hat er gesagt, und ich würd besser schlafen. Aber ich hab gewusst, warum. Elrod hatte sich irgendwoher ’ne Flasche besorgt – wieder mal –, und war angetrunken.«
»Du meinst Elrod Nutter?«, fragte Sheriff Peavy.
»Aye, der Vormann von den ganzen Jungs, das ist er.«
»Den kenn ich gut«, sagte Peavy zu uns. »Hab ihn schon mindestens ein halbes Dutzend Male eingelocht. Jefferson behält ihn, weil er ein verdammt guter Reiter und der beste Lassowerfer ist, den man je gesehen hat, aber er ist ein bösartiger Hundesohn, wenn er getrunken hat. Das stimmt doch, Young Bill, oder?«
Young Bill nickte ernst und strich sich sein von dem alten Zaumzeug, unter dem er sich versteckt hatte, noch ganz staubiges Haar aus den Augen. »Yar, und er hatte es auf mich abgesehen. Was mein Vater wusste.«
»Du warst Kochlehrling, was?«, sagte Peavy. Obwohl ich wusste, dass er sich bemühte, freundlich zu sein, wünschte ich mir, er würde aufhören, auf eine Weise zu reden, die einst, aber jetzt nicht mehr besagte.
Der Junge schien jedoch nichts zu bemerken. »Barackenjunge. Nicht Küchenjunge.« Er wandte sich an Jamie und mich. »Ich mache die Betten, binde die Bettrollen zusammen, schieße die Lassos auf, poliere die Sättel und überprüfe abends die Tore, wenn die Pferde auf der Koppel sind. Tiny Braddock hat mir gezeigt, wie man ein Lasso macht, und ich kann’s ziemlich gut werfen. Roscoe bringt mir das Bogenschießen bei. Freddy Two-Step sagt, dass er mir im Herbst zeigt, wie man den Tieren unser Zeichen einbrennt.«
»Glückwunsch«, sagte ich und tippte mir an die Kehle.
Das ließ ihn lächeln. »Die meisten sind gute Burschen.« Sein Lächeln verschwand so schnell, wie es gekommen war – als zöge die Sonne sich hinter Wolken zurück. »Bis auf Elrod. Wenn er nüchtern ist, ist er nur brummig, aber wenn er getrunken hat, piesackt er einen. Ziemlich fies , wenn Ihr wisst, was ich meine.«
»Das weiß ich sehr wohl«, sagte ich.
»Aye, und wenn man nicht lacht und so tut, als wär alles ein Scherz – auch wenn er einem den Arm verdreht oder einen an den Haaren durch die Baracke zerrt –, wird er noch fieser. Als mein Da’ gesagt hat, dass ich draußen schlafen soll, hab ich gleich meine Decke und meine Pelle genommen und bin gegangen. Dem Weisen genügt ein einziges Wort, sagt mein Da’ immer.«
»Was ist eine Pelle?«, fragte Jamie den Sheriff.
»Eine Segeltuchplane«, sagte Peavy. »Hält zwar keinen Regen ab, aber man wird vom Morgentau nicht feucht.«
»Wo hast du dich hingelegt?«, fragte ich den Jungen.
Er zeigte auf die Weide jenseits der Koppel, auf der die Pferde weiter vor jeder größeren Staubwolke scheuten. Über uns und um uns herum wogte und seufzte die Trauerweide. Hübsch anzuhören, noch hübscher anzusehen. »Meine Decke und meine Pelle liegen noch draußen, glaub ich.«
Ich sah von der Stelle, auf die er gezeigt hatte, zu der Sattelkammer, in der wir ihn aufgespürt hatten, und weiter zu der Schlafbaracke hinüber. Diese drei Orte bildeten die Spitzen eines Dreiecks mit einer Schenkellänge von etwa einer Viertelmeile und der Koppel in der Mitte.
»Wie bist du von deinem Schlafplatz unter den Berg Lederzeug gekommen, Bill?«, fragte Sheriff Peavy.
Der Junge sah ihn lange schweigend an. Dann kullerten ihm wieder Tränen übers Gesicht. Er bedeckte es mit den Händen, weil wir sie nicht sehen sollten. »Weiß ich nicht«, murmelte er. »Kann mich an nix erinnern.« Bill ließ die Hände auf einmal sinken; sie schienen ihm in den Schoß zu fallen, als wären sie plötzlich zu schwer geworden. »Ich will meinen Da’.«
Jamie stand auf und ging mit tief in den Hüfttaschen seiner Jeans vergrabenen Händen davon. Ich versuchte zu sagen, was gesagt werden musste, und konnte es nicht. Ihr müsst bedenken, dass Jamie und ich zwar Revolver trugen – aber noch nicht die großen Sechsschüsser unserer Väter. Ich würde nie mehr so jung sein wie damals, als ich Susan Delgado kennen und lieben gelernt und sie verloren hatte, aber ich war noch zu jung,
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