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Wind (German Edition)

Wind (German Edition)

Titel: Wind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Ich bin’s. Erschieß mich nicht, um deines Vaters willen.«
    Ich trat ins Freie. Jamie hatte seinen Revolver zurück ins Holster gesteckt und deutete jetzt auf einen großen Haufen Pferdeäpfel. »Er weiß, was er ist, Roland.«
    »Das sagt dir ein Haufen Pferdeäpfel?«
    »Allerdings.«
    Jamie erklärte mir nicht, wie er darauf gekommen war, aber einen Augenblick später sah ich es selbst. Der Schuppen war aufgegeben worden – vermutlich nachdem in der Nähe des Herrenhauses ein neuer errichtet worden war –, aber die Pferdeäpfel waren frisch. »Wenn er zu Pferd gekommen ist, dann ist er auch als Mensch gekommen.«
    »Aye. Und als solcher weggeritten.«
    Ich hockte mich hin und überlegte. Jamie drehte sich eine Zigarette und ließ mich nachdenken. Als ich zu ihm aufsah, lächelte er schwach.
    »Verstehst du, was das bedeutet, Roland?«
    »Zweihundert Salzhauer, mehr oder weniger.« Ich war schon immer ein bisschen langsam im Kopf, aber zu guter Letzt komme ich meistens doch auf die Lösung.
    »Aye.«
    »Salzhauer, wohlgemerkt, nicht Cowboys oder Pokies. Bergleute sind keine Reiter. Im Allgemeinen jedenfalls nicht.«
    »Genau.«
    »Wie viele dort oben haben ein Pferd – was glaubst du? Wie viele können überhaupt reiten?«
    Jetzt grinste er. »Das könnten zwanzig bis dreißig sein, schätze ich.«
    »Besser als zweihundert«, sagte ich. »Verdammt viel besser. Wir reiten dort hinauf, sobald …«
    Ich brachte diesen Satz nie zu Ende, denn nun setzte das Stöhnen ein. Es kam aus dem Holzschuppen, den ich als leer abgehakt hatte. Wie froh ich in diesem Augenblick war, dass Cort nicht zugegen war! Er hätte mich mit einer Kopfnuss niedergestreckt. Zumindest hätte er das getan, als er noch im besten Mannesalter gewesen war.
    Jamie und ich wechselten einen überraschten Blick, dann liefen wir wieder hinein. Das Stöhnen ging weiter, aber der Schuppen wirkte so leer wie zuvor. Dann begann der große Haufen Lederzeug – reparaturbedürftige Kummete und Zaumzeug und Sattelgurte und Steig bügel – sich zu bewegen, als atmete er. Die verwirrten Knäuel aus Lederzeug fielen seitlich auseinander, und ein Junge kam zum Vorschein. Sein weißblondes Haar stand nach allen Seiten ab. Er trug Jeans und ein altes Hemd, das offen an ihm herabhing. Er schien unverletzt zu sein, aber im Halbdunkel war das schwierig zu beurteilen.
    »Ist es fort?«, fragte er mit zitternder Stimme. »Bitte, Sais, sagt, dass es weg ist.«
    »Es ist weg«, sagte ich.
    Er wollte aus dem Lederhaufen herausklettern, aber ein Zügel hatte sich um sein linkes Bein gewickelt und brachte ihn zu Fall. Ich fing ihn auf und blickte in ein leuchtend blaues Augenpaar, das völlig verängstigt zu mir aufsah.
    Dann wurde er ohnmächtig.
    Ich trug ihn zu dem Betontrog. Jamie nahm sein Halstuch ab, tauchte es ins Wasser und machte sich daran, das schmutzige Gesicht des Jungen zu waschen. Er schien ungefähr elf zu sein; vielleicht sogar ein, zwei Jahre jünger. Er war so mager, dass sich das schwer abschätzen ließ. Nach einiger Zeit öffnete er blinzelnd die Augen. Er sah von mir zu Jamie und dann wieder zu mir. »Wer seid ihr?«, fragte er. »Ihr gehört nicht auf die Ranch.«
    »Wir sind Freunde der Ranch«, sagte ich. »Und wer bist du?«
    »Bill Streeter«, sagte er. »Die Arbeiter nennen mich Young Bill.«
    »Aye, tun sie das? Und ist dein Vater Old Bill?«
    Er setzte sich auf, nahm Jamies Halstuch, tauchte es in den Trog und drückte es dann aus, sodass ihm Wasser über die schmale Brust lief. »Nein, Old Bill war mein Granda’. Der ist vor zwei Jahren auf die Lichtung gegangen. Mein Da’, der ist einfach nur Bill.« Als er den Namen seines Vaters aussprach, riss er die Augen auf. Dabei umklammerte er meinen Arm. »Er ist nicht tot, stimmt’s? Sagt, dass er das nicht ist, Sai!«
    Jamie und ich wechselten abermals einen Blick, was ihn erst recht zu ängstigen schien.
    »Sagt, dass er das nicht ist! Bitte sagt, dass mein Daddy nicht tot ist!« Ihm liefen die Tränen.
    »Still jetzt und nicht aufregen«, sagte ich. »Was ist er, dein Da’? Einer von den Handlangern?«
    »Nay, er ist der Koch. Sagt, dass er nicht tot ist! «
    Aber der Junge wusste, dass das der Fall war. Das sah ich in seinem Blick so deutlich, wie ich in der Schlafbaracke den Koch mit seiner übers Gesicht geworfenen, blutbefleckten Schürze gesehen hatte.
    An der Schmalseite des Herrenhauses stand eine Trauerweide, und dort befragten wir Young Bill Streeter – nur ich, Jamie und

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