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Wind (German Edition)

Wind (German Edition)

Titel: Wind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Schiff aus Blossholz zertrümmert hätte.
    Für Hochseeschiffe wurde Eisenholz gebraucht, und für Eisenholz zahlte Hodiak, der Aufkäufer der Baronie, der zweimal im Jahr zur Treemühle kam, gute Preise. Es war das Eisenholz, das dem Endlosen Wald seine grünlich schwarze Färbung gab, und nur die tapfersten Holzfäller holten es aus dem Wald, denn auf dem Eisenholzpfad – der kaum in den Saum des Endlosen Waldes eindrang, wie wir gehört haben – lauerten Gefahren, im Vergleich zu denen die Schlangen, Wervel und Mutie-Bienen der Blossholzhaine harmlos wirkten.
    Zum Beispiel Drachen.

So kam es, dass Tim Ross in seinem elften Jahr seinen Da’ verlor. Nun gab es keine Axt mehr und keine Glücksmünze, die an einer dünnen Silberkette um Big Ross’ muskulösen Hals hing. Bald würde es vielleicht auch weder ein Familiengrundstück in der Stadt noch überhaupt gar einen Platz auf der Welt für sie mehr geben. Denn in jenen Tagen kam ungefähr zur Zeit der Vollerde der Steuerbeauftragte der Baronie vorbei. Er brachte eine Rolle Pergamentpapier mit, auf der die Namen aller Familien in Tree mit einer hinzugesetzten Zahl aufgelistet waren. Diese Zahl war die Steuer, die zu entrichten war. Konnte man sie zahlen – vier bis sechs Silberlinge, für die größeren Anwesen sogar ein Goldstück –, war alles in Ordnung. Konnte man es aber nicht, zog die Baronie die Parzelle ein und schickte einen auf Wanderschaft. Berufung dagegen gab es keine.
    Tim ging halbtags ins Häuschen der Witwe Smack, die Kinder unterrichtete und dafür mit Naturalien bezahlt wurde – meistens Gemüse, selten ein Stück Fleisch. Vor langer Zeit, bevor Blutgeschwüre sie befallen und ihr das halbe Gesicht weggefressen hatten (das flüsterten die Kinder, obwohl keines das jemals gesehen hatte), war sie eine vornehme Dame am Sitz der Baronie gewesen (behaupteten manche Eltern, obwohl das niemand bestimmt wusste). Jetzt trug sie einen Gesichtsschleier und unterrichtete begabte Jungen und sogar ein paar Mädchen in Lesen und Schreiben und der leicht anrüchigen Kunst, die als Mathmatika bekannt war.
    Sie war eine beängstigend kluge Frau, die keinen Unfug duldete und an den meisten Tagen unermüdlich war. Trotz Schleier und den dahinter verborgenen imaginären Schrecken gewannen ihre Schüler sie im Allgemeinen lieb. Es kam jedoch vor, dass sie am ganzen Leib zu zittern begann und ausrief, ihr armer Kopf platze und sie müsse sich hinlegen. An solchen Tagen schickte sie die Kinder heim und trug ihnen dabei manchmal auf, ihren Eltern auszurichten, sie bereue nichts, am allerwenigsten ihren schönen Prinzen.
    Ungefähr einen Monat nachdem der Drache Big Ross aus seinen Stiefeln gebrannt hatte, hatte Sai Smack einen ihrer Anfälle, und als Tim in das Schönblick genannte elterliche Häuschen zurückkam, sah er durchs Küchenfenster, dass seine Mutter den Kopf auf den Tisch gelegt hatte und weinte.
    Er ließ die Schiefertafel mit seiner Mathmatika -Aufgabe fallen (eine lange Teilung, vor der ihm gruselte, obwohl sie sich letztlich nur als umgekehrte Vervielfachung erweisen sollte) und lief zu ihr. Sie sah zu ihm auf und bemühte sich zu lächeln. Der Gegensatz zwischen angehobenen Mundwinkeln und tränennassen Augen bewirkte, dass Tim am liebsten auch losgeheult hätte. Es war der Anblick einer Frau, die am Ende ihrer Kräfte war.
    »Was gibt’s, Mama? Was hast du?«
    »Ich hab nur an deinen Vater gedacht. Manchmal fehlt er mir so. Warum kommst du früher heim?«
    Er hob an, es ihr zu erklären, aber als er die Lederbörse mit der Zugschnur gewahr wurde, verstummte er sogleich. Seine Mutter hatte einen Arm darauf gelegt, wie um sie zu verbergen, und als sie sah, dass er sie betrachtete, fegte sie die Börse vom Tisch auf ihren Schoß.
    Nun war Tim keineswegs dumm, also goss er Tee auf, bevor er noch etwas sagte. Erst nachdem sie eine Tasse getrunken hatte – mit Zucker, worauf er bestand, obwohl die Schale nur noch sehr wenig davon enthielt – und wieder ruhiger war, fragte er, was außerdem nicht in Ordnung sei.
    »Ich weiß nicht, was du meinst.«
    »Wieso hast du unser Geld gezählt?«
    »Da gibt’s nur wenig zu zählen«, sagte sie. »Der Zöllner wird kommen, sobald das Erntefest vorbei ist – während die Asche des Ernte-Scheiterhaufens noch warm ist, wie ich ihn kenne –, und was dann? Er wird diesmal sechs Silberlinge, vielleicht sogar acht verlangen. Die Steuern sind erhöht worden, heißt es, wahrscheinlich für einen ihrer dämlichen

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