Wind (German Edition)
Kriege in fernen Landen, mit Soldaten und wehenden Bannern, aye, alles sehr prächtig!«
»Wie viel haben wir?«
»Viereinviertel. Wir haben kein Vieh, das wir verkaufen könnten, und seit dem Tod deines Vaters keinen Klafter Eisenholz mehr. Ach, was sollen wir nur tun?« Sie begann wieder zu weinen. »Was sollen wir nur tun? «
Tim war so ängstlich wie sie, aber weil kein Mann im Haus war, der sie hätte trösten können, hielt er seine Tränen zurück und legte die Arme um sie und beruhigte sie, so gut er konnte.
»Hätten wir seine Axt und seine Münze, könnte ich sie Destry verkaufen«, sagte sie schließlich.
Tim war entsetzt, obwohl es die Axt und die Glücksmünze nicht mehr gab, seit beide im selben feurigen Odem verglüht waren, der ihren fröhlichen, gutherzigen Besitzer dahingerafft hatte. »Das tätest du nie!«
»Doch«, sagte sie. »Ich täte es, um die Parzelle und unser Häuschen zu behalten. Das waren die Dinge, die ihm wirklich wichtig waren – außer dir und mir. Könnte er sprechen, würde er sagen: ›Tu’s, Nell, mir ist es nur recht.‹« Sie seufzte. »Aber dann würde der alte Steuereintreiber der Baronie nächstes Jahr kommen … und übernächstes Jahr …« Sie bedeckte das Gesicht mit den Händen. »O Tim, sie werden uns auf Wanderschaft schicken, und mir fällt nichts ein, was wir dagegen tun könnten. Dir vielleicht?«
Tim hätte alles, was er besaß (was ziemlich wenig war), dafür gegeben, ihr eine Antwort geben zu können, aber er wusste einfach keine. Er konnte lediglich fragen, wie lange es noch dauere, bis der Zöllner auf seinem großen Rappen in Tree einreite – auf einem Sattel, der mehr gekostet hatte, als Big Ross, der sein Leben auf dem als Eisenholzpfad bekannten schmalen Weg aufs Spiel gesetzt hatte, im ganzen Leben verdient hatte.
Sie hielt vier Finger hoch. »So viele Wochen, wenn das Wetter schön bleibt.« Sie hielt vier weitere hoch. »So viele Wochen, wenn es schlecht ist und er bei den Farmern im Mittelland aufgehalten wird. Auf mehr als acht dürfen wir wohl nicht hoffen. Und dann …«
»Bestimmt geschieht irgendwas, bevor er kommt«, sagte Tim. »Da’ hat oft gesagt, dass der Wald denen gibt, die ihn lieben.«
»Ich hab immer nur erlebt, dass er nimmt«, sagte Nell und schlug wieder die Hände vors Gesicht. Als er einen Arm um sie legen wollte, schüttelte sie den Kopf.
Tim schlurfte hinaus, um seine Schiefertafel zu holen. So ängstlich und traurig wie jetzt war er noch nie gewesen. Irgendwas wird geschehen, was alles ändert, dachte er. Bitte lass etwas geschehen, was alles ändert.
Das Schlimmste an Wünschen war, dass sie manchmal wahr wurden.
In Tree gab es eine reichliche Volle Erde; das wusste auch Nell, obwohl das reife Land für sie ein bitterer Anblick war. Nächstes Jahr würden Tim und sie vielleicht den Ernten mit Rucksäcken aus Rupfen folgen – weiter und immer weiter vom Endlosen Wald weg –, und das machte die Schönheit dieses Sommers schwer erträglich. Der Wald war ein schrecklicher Ort, und er hatte ihr ihren Mann genommen, aber es war der einzige Ort, den sie je gekannt hatte. Wehte nachts der Nordwind, stahl er sich wie ein Liebhaber durchs offene Fenster an ihr Bett und brachte seinen besonderen Duft mit: bitter und süß zugleich wie Blut und Erdbeeren. Im Schlaf träumte sie manchmal von seinen tiefen Klüften und geheimen Wasserfällen in einem Sonnenschein, der so gedämpft war, dass er fast so wie Messing mit Grünspan schimmerte.
Der Duft des Waldes bei Nordwind bringt Trugbilder mit, sagten die alten Folken. Nell wusste nicht, ob das stimmte oder nur Geschwätz von der Ofenbank war, aber sie wusste, dass der Duft des Endlosen Waldes von Leben und Tod kündete. Und sie wusste, dass Tim ihn liebte, wie sein Vater es getan hatte. Und wie sie es (oft gegen ihren Willen) selbst getan hatte.
Sie hatte sich insgeheim vor dem Tag gefürchtet, an dem ihr Sohn groß und stark genug sein würde, seinen Da’ auf diesem gefährlichen Pfad zu begleiten, aber jetzt bedauerte sie, dass dieser Tag nie kommen würde. Sai Smack und ihre zauberische Mathmatika waren so weit in Ordnung, aber Nell wusste, was ihr Sohn wirklich wollte, und hasste den Drachen, der es ihm gestohlen hatte. Vermutlich war es ein Weiberdrache gewesen, der nur sein Ei beschützen wollte, aber Nell hasste ihn trotzdem. Sie hoffte, das gepanzerte Miststück mit den gelben Augen würde sein eigenes Feuer verschlucken und mit einem lauten Knall explodieren,
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