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Wind (German Edition)

Wind (German Edition)

Titel: Wind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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machte das Grinsen nicht weniger herzlich.
    »Welch glückliches Zusammentreffen«, sagte Tim.
    »Heil!«, wiederholte der Steuermann, und alle anderen nahmen den Ruf auf, bis der Sumpf davon widerhallte: Heil! Heil! Heil!

Am Ufer (wenn Boden, der bei jedem Schritt bebte und aus dem überall Wasser quoll, als Ufer bezeichnet werden konnte) versammelte der Stamm sich um Tim. Der erdige Gestank dieser Wesen war ungeheuer. Tim behielt den Vierschüsser in der Hand – nicht weil er auf jemand schießen oder auch nur jemand bedrohen wollte, sondern weil sie so begierig waren, die Waffe zu sehen. Hätte jemand die Hand ausgestreckt und versucht, die Waffe auch nur zu berühren, hätte er sie wieder in den Beutel gesteckt, aber das tat niemand. Sie grunzten, sie gestikulierten, sie ließen zwitschernde Vogelschreie hören, aber außer heil sagte keiner von ihnen ein einziges Wort, das Tim verstand. Als Tim jedoch zu ihnen sprach, hatte er keinen Zweifel daran, dass er verstanden wurde.
    Er zählte mindestens sechzehn dieser Wesen, lauter Männer und alle Muties. Außer Flechten und Ranken wucherten an den meisten auch Pilze, die an die Baumschwämme erinnerten, die Tim manchmal auf dem Blossholz in der Sägemühle gesehen hatte. Außerdem litten sie unter Furunkeln und eiternden Geschwüren. Während Tim sie musterte, verfestigte sich eine Ahnung zur Gewissheit: Irgendwo mochte es auch Frauen geben – einige wenige –, aber keine Kinder. Es war ein aussterbender Stamm. Bald würde der Fagonard die Muties verschlingen wie der Weiberdrache das geopferte Wildschwein. Vorerst sahen sie ihn jedoch auf eine Weise an, die er aus eigener Erfahrung von der Arbeit in der Sägemühle kannte. So hatten er und die anderen Jungen den Vorarbeiter angesehen, wenn eine Arbeit erledigt war und sie darauf warteten, eine neue zugewiesen zu bekommen.
    Die Muties aus dem Fagonard hielten ihn für einen Revolvermann – eine lächerliche Vorstellung, weil er nur ein Junge war, aber daran war nun einmal nicht zu rütteln – und waren zumindest vorläufig offenbar bereit, alle seine Befehle auszuführen. Für sie mochte das einfach sein, aber Tim hatte noch nie Befehle erteilt oder auch nur davon geträumt, welche zu erteilen. Was wollte er? Verlangte er, an den Südrand des Sumpfes zurückgebracht zu werden, würden sie es tun; davon war er überzeugt. War er erst einmal dort, traute er sich zu, den Weg zurück zum Eisenholzpfad zu finden, der ihn wiederum nach Tree zurückbringen würde.
    Nach Hause.
    Das wäre das Vernünftigste gewesen, das wusste Tim. Aber wenn er zurückkäme, würde seine Mutter weiterhin blind sein. Daran würde auch Big Kells’ Ergreifung rein gar nichts ändern. Er, Tim Ross, würde viel gewagt, aber nichts gewonnen haben. Und noch schlimmer: Der Zöllner würde in seinem Silberbecken beobachten können, wie er mit eingezogenem Schwanz nach Süden zurückschlich. Er würde lachen. Bestimmt mit seiner bösen kleinen Elfe, die mit ihm lachte, auf der Schulter.
    Als er sich das durch den Kopf gehen ließ, fiel ihm etwas ein, was die Witwe Smack in glücklicheren Tagen – in denen er nur ein Schuljunge gewesen war, der sich immer bemüht hatte, seine Arbeit in Haus und Hof zu erledigen, bevor sein Da’ aus dem Wald heimkam – oft gesagt hatte: Die einzige dumme Frage, meine Lieben, ist die, die man nicht stellt.
    Bewusst langsam (und ohne viel Hoffnung) sprechend, sagte Tim: »Ich bin auf der Suche nach Maerlyn, der ein großer Zauberer ist. Mir ist gesagt worden, dass er ein Haus im Endlosen Wald hat, aber der Mann, der mir das erzählt hat, war …« Ein Schuft. Ein Lügner. Ein grausamer Schwindler, der seinen Spaß daran hatte, Kinder reinzulegen. »… nicht zuverlässig«, schloss er. »Habt ihr im Fagonard jemals von diesem Maerlyn gehört? Er trägt vermutlich einen sonnengelben, spitzen Hut.«
    Er hatte Kopfschütteln oder Verständnislosigkeit erwartet. Stattdessen bildeten die Stammesangehörigen in einiger Entfernung von ihm einen engen, schnatternden Kreis. Ihr Palaver dauerte eine ganze Weile und wurde mehrmals recht hitzig geführt. Schließlich kamen sie zu Tim zurück. Verkrümmte Hände mit Geschwüren an den Fingern schoben den ehemaligen Steuermann vor, der breitschultrig und kräftig gebaut war. Wäre er nicht im Fagonard aufgewachsen, der einer Giftschale glich, hätte er als gut aussehend gelten können. In seinen Augen leuchtete Intelligenz. Auf seiner rechten Brust wölbte sich dicht über

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