Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wind über den Schären: Liebesgeschichten aus Schweden (German Edition)

Wind über den Schären: Liebesgeschichten aus Schweden (German Edition)

Titel: Wind über den Schären: Liebesgeschichten aus Schweden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inga Lindström
Vom Netzwerk:
ständigen Angst, Irma könnte seine Zerstreuung bemerken, oder, noch schlimmer, er könnte ihr Misstrauen durch eine unbedachte Bemerkung hervorrufen oder sich gar verraten. Am Dienstag war er froh gewesen, dass Markus und Leonie wirklich zum Essen gekommen waren. Leonie hatte so viel von ihrem letzten Auftrag erzählt und Irma von der jungen Bildhauerin, die sie entdeckt und deren Werke sie jetzt in der Galerie ausstellte, berichtet. Sie schienen nicht bemerkt zu haben, wie still er selbst an diesem Abend war. Markus hatte ebenso wie Olof ziemlich ruhig dabeigesessen. Aber im Gegensatz zu ihm selbst hatte Markus den Erzählungen der beiden Frauen offensichtlich aufmerksam gelauscht.
    Tagsüber gelang es Olof, sich in seine Arbeit zu flüchten und sich damit zumindest zeitweise abzulenken. Nachts war das unmöglich, und so lag Olof auch jetzt wieder im Bett neben seiner Frau, wälzte sich ruhelos von einer Seite auf die andere, während Irma tief und fest schlief. Es war schon weit nach Mitternacht, wie er mit einem Blick auf den Wecker feststellte.
    Er drehte sich wieder auf die andere Seite und betrachtete im Licht des Mondes, der durch die Scheibe schien, das entspannte Gesicht seiner Frau. Sie lächelte leicht im Schlaf, und Olof spürte mit aller Deutlichkeit, wie sehr er sie liebte. Sie hatten ihr ganzes Leben miteinander verbracht, waren beide hier in Boxenberg aufgewachsen, waren zusammen zur Schule gegangen und hatten sich bereits als Teenager ineinander verliebt. Ebenso wie Leonie und Markus, dachte Olof wehmütig, auch wenn die es sich damals nicht eingestanden hatten.
    Abgesehen von Markus’ Abstecher nach Kanada waren auch sie ihr ganzes Leben zusammen gewesen, wobei Leonies Reisen die Beziehung sicher auf eine harte Probe stellten. Olof hatte nie verstanden, wie eine Ehe auf dieser Basis funktionieren konnte, für ihn wäre das undenkbar. Markus musste seine Frau sehr lieben, wenn er mit ihrer ständigen Abwesenheit zurechtkam. Aber seine Tochter war eben erfolgreich. Ebenso wie Valerie …
    Olof hätte sich ohrfeigen können. Seine Gedanken drehten sich ständig im Kreis. Irma, Leonie, Valerie – und dann begann es wieder von vorn.
    Er hielt es im Bett nicht mehr aus. Leise, um Irma nicht zu wecken, erhob er sich und ging nach unten in sein Arbeitszimmer. Dort schaltete er nur die kleine Lampe auf seinem Schreibtisch an und öffnete den Safe, in dem er ansonsten nur wichtige Papiere bezüglich der Brauerei verwahrte, und zog ein Bündel Briefe heraus.
    Olof hatte sich seit Montag mehrfach vorgenommen, die Briefe und Fotos zu vernichten, hatte es aber jedes Mal nicht übers Herz gebracht. Er wusste, sie lagen sicher in seinem Safe, viele Jahre schon, er brauchte sie nicht hervorzuholen. Es ging darum, die Gedanken aus dem Kopf zu verbannen, und das brauchte einfach Zeit. Und Distanz. Gut, dass Ludvig Valerie abgesagt hatte, in ihrer Gegenwart würde ihm ein Vergessen und das Verheimlichen schwerfallen.
    Jetzt, in diesem Moment, war er dankbar, den symbolischen Akt noch nicht vollzogen zu haben und die Fotos in der Hand halten zu können. Nachdenklich betrachtete er eines nach dem anderen. Immer wieder, er konnte sich nicht sattsehen.
    Er betrachtete erstaunt die verblüffende Ähnlichkeit zwischen Kerstin und Valerie. Aber jetzt, wo er die Fotos zum ersten Mal in all den Jahren genauer betrachtete, jeden Gesichtszug seiner Tochter studierte, wurde ihm bewusst, dass es da einige Merkmale gab, die sie von ihm geerbt hatte. Die Form der Nase, die Art, wie sie beim Lächeln die Lippen verzog. Das Muttermal unterhalb ihres Ohrläppchens, das bei offenem Haar nicht zu sehen war. Olof hatte das gleiche Muttermal an der gleichen Stelle, und auch Leonie besaß es.
    Olof lächelte. Es war verrückt, aber er war plötzlich schrecklich stolz auf diese Tochter, die er nicht kannte. Da war in ihm ein ganz starkes Gefühl, das sich nicht mehr niederdrücken ließ – und da war plötzlich der Wunsch, mehr über diese Tochter zu erfahren. Über ihr Leben, ihre Gefühle. Auch seinen Enkel würde er zu gerne kennenlernen.
    Wieder und wieder betrachtete er die Fotos, las jeden von Kerstins Briefen noch einmal, strich über das Papier und faltete schließlich jeden einzelnen von ihnen, bevor er schließlich alles wieder ordentlich im Safe verstaute. Draußen dämmerte es bereits, und Olof hatte einen Entschluss gefasst, der womöglich sein Leben verändern würde. Aber er wusste, es war das einzig Richtige, was immer

Weitere Kostenlose Bücher