Wind über den Schären: Liebesgeschichten aus Schweden (German Edition)
über sich selbst, als vor seinem inneren Auge schon wieder Valeries Gesicht auftauchte. Es war ihm schon auf der Landstraße Richtung Boxenberg vertraut vorgekommen, als sie bei seinem Anblick die Geschwindigkeit verringert hatte.
Aber Valerie war nicht alleine im Wagen gewesen! Neben ihr hatte ein Junge gesessen! Kerstin hatte ihm geschrieben, dass Valerie ein Kind zur Welt gebracht hatte, aber erst in diesem Moment wurde Olof wirklich bewusst, dass er nicht nur zweifacher Vater, sondern auch Großvater war.
Sein Blick fiel auf Irma und Leonie. Die beiden lachten miteinander, plapperten munter und umarmten sich wieder.
Du musst sie vergessen, diese andere Tochter, befahl er sich energisch. Du musst sie vergessen!
Er würde alles vernichten, was er jemals an Informationen von Kerstin erhalten hatte. Alle ihre Briefe und Fotos befanden sich in einem Safe im Arbeitszimmer, zu dem nur er den Code besaß.
Es würde eine symbolische Geste sein. Sie würde besiegeln, dass er diese beiden Menschen, die gerade bei ihm waren, niemals unglücklich machen würde.
Valerie und Lasse lehnten an der Reling der Fähre von Djurgården zurück in Richtung Altstadt. Valerie hatte sich früher aus dem Büro stehlen können und endlich einmal Zeit für ihren Sohn gehabt. Sie hatte ihn direkt von der Schule abgeholt, und er hatte entscheiden dürfen, wie sie den Nachmittag gemeinsam verbringen sollten. Er hatte nicht lange überlegt. »Ich möchte ein Picknick auf Djurgården machen, Mama! Können wir bitte, bitte, bitte mit der Fähre übersetzen? Bitte, Mama!«, hatte er gesagt und mit einem schelmischen Lächeln hinzugefügt: »Das ist einer meiner Lieblingsorte in Stockholm, den werde ich vermissen.«
Nach einem erfüllten Nachmittag auf der grünen Halbinsel vor den Toren Stockholms stand die Sonne nun tief und tauchte die Stadt mit ihren prachtvollen Fassaden in ein goldenes Licht. Die Fähre umrundete Kastellholmen mit dem braunroten, imposanten Kastell, auf dessen Turm ein Wimpel in schwedischen Farben im Abendwind flatterte.
Valerie war erfüllt von einer tiefen Wehmut, die sie immer in Momenten des Abschieds überkam. Ja, sie war in dieser Stadt aufgewachsen, hatte ihr Leben lang hier gelebt – aber ihr Zuhause, das würde in Zukunft woanders sein. Zumindest wünschte sich sich das so sehr. Dennoch war ihre Skepsis gerade in den letzten zwei Tagen gewachsen. Sie war sich sehr sicher gewesen, dass Stekkelson sich für sie entscheiden würde und hatte insgeheim auf eine schnelle Entscheidung gehofft. Nun waren schon drei Tage vergangen, und sie hatte immer noch nichts gehört. Sie mühte sich, ihre Erwartung zu bremsen; ziemlich erfolglos. Sie musste sich eingestehen, dass sie sehr enttäuscht wäre, wenn Ludvig Stekkelson ihr absagen würde.
Für ihren Sohn hingegen schien der Umzug bereits festzustehen. »Wann ziehen wir um?«, fragte Lasse, während er seine Nase in den Fahrtwind hielt. »Ich freue mich echt darauf, in Boxenberg zu wohnen.«
Valerie strich ihm übers Haar. »Wir müssen erst einmal abwarten. Vielleicht entscheidet sich Herr Stekkelson ja doch gegen mich.«
Lasse schüttelte den Kopf, für ihn schien diese Möglichkeit nicht wirklich in Betracht zu kommen. Er legte beruhigend die Hand auf den Arm seiner Mutter. »Du hast doch gesagt, ihr habt euch gut verstanden.«
Valerie lächelte. »Haben wir auch. Ich bin auch fast sicher, dass ich den Job bekomme.«
Lasse blinzelte zu ihr auf, als ihm die tief stehende Sonne direkt ins Gesicht schien. »Nur fast?«
»Eigentlich ganz«, sagte Valerie endlich und sprach damit aus, was ihr Gefühl ihr sagte. »Es gibt zumindest nichts, was gegen mich spricht«, sagte sie lachend und legte einen Arm um die Schultern ihres Sohnes. Gemeinsam schauten sie hinaus aufs Wasser und genossen den Augenblick, während die Fähre auf den Anleger zusteuerte.
Olof hatte es nicht übers Herz gebracht, die Briefe und Fotos zu vernichten. Sie waren Zeugnis eines ganzen Lebens, an dem er nicht teilgehabt hatte. Dem Leben seiner Tochter.
Bisher war sie nicht mehr gewesen als ein lachendes Mädchen, ein hübscher Teenager und zuletzt eine schöne Frau – auf Papier. Jetzt war sie ein Mensch aus Fleisch und Blut, und der Gedanke an sie ließ Olof nicht los.
Vor vier Tagen war seine Welt zutiefst erschüttert worden. Er hatte versucht, den Gedanken an Valerie zu verdrängen, was ihm nicht gelungen war. Er hatte sich so gut es ging zusammengerissen, trotzdem lebte er in der
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