Wind über den Schären: Liebesgeschichten aus Schweden (German Edition)
daraus auch entstehen würde.
Unruhig tigerte Olof vor der Kanzlei auf und ab. Er wusste, dass sein Freund für gewöhnlich ganz früh, noch vor seinen Sekretärinnen, in der Kanzlei erschien, aber ausgerechnet heute schien Ludvig sich Zeit zu lassen.
Alle paar Minuten schaute Olof auf seine Armbanduhr. Die Zeit verging quälend langsam, während er sich selbst immer wieder fragte, ob es nicht vielleicht sowieso schon zu spät war. Als er Ludvig endlich mit seiner Aktentasche die Straße entlangschlendern sah, lief er ihm ungeduldig entgegen.
Ludvig schien überrascht, seinen Freund hier zu sehen. »Hej, Olof, so früh schon auf den Beinen?«
Olof verzichtete auf einen Gruß und kam gleich zur Sache. »Hast du ihr schon abgesagt?«
»Wem?«, fragte Ludvig. Sein Grinsen verriet, dass er sehr wohl wusste, von wem Olof sprach.
»Meiner Tochter«, stieß Olof hervor. »Du findest doch, dass sie eine gute Anwältin ist.«
»Eine sehr gute sogar«, bestätigte Ludvig nickend, »und noch dazu eine reizende Frau. Aber ich werde ihr heute die Absage schicken.«
»Tu das nicht!«, rief Olof vehement. Er war sich jetzt noch sicherer als in der Nacht, aller möglichen Konsequenzen zum Trotz.
»Vielleicht hat das Schicksal es so bestimmt, dass ich sie kennenlernen soll«, sagte Olof mehr zu sich selbst.
Ludvig schien einen Moment lang überrascht. Dann räusperte er sich. »Du meinst …«, sagte er gedehnt, ohne den Satz zu beenden.
Olof hob den Blick und sah seinem Freund ins Gesicht. »Stell sie ein«, sagte er entschlossen. »Sie soll nach Boxenberg kommen und hier mit ihrem Sohn leben.«
Ludvig betrachtete seinen Freund nachdenklich. »Und Irma?«, fragte er leise. »Hast du mit ihr gesprochen?«
Beschämt schüttelte Olof den Kopf. »Nein, ich will Valerie erst einmal kennenlernen, ohne dass Irma etwas davon weiß«, sagte er leise. Er hörte selbst, wie unrealistisch das klang. Aber so war es. Er bekam seine Tochter nicht aus dem Kopf, sosehr er sich auch bemühte, und er kannte sich gut genug, um zu wissen, dass das auch so bleiben würde. Valerie war in sein Leben gerauscht, und nun wollte er seine Tochter einfach kennenlernen. Sie und seinen Enkel. Olof war fest entschlossen, die beiden weiterhin vor Irma geheim zu halten – das war ihm schließlich so viele Jahre lang geglückt, und wenn er sich vorsichtig verhielt … Wie sollte sie es auch herausfinden? Niemand wusste etwas von seiner Verbindung zu Valerie. Niemand außer Ludvig, und sein Freund würde schweigen, da konnte Olof sich sicher sein. Auch wenn Ludvig ihn jetzt mit einem Blick ansah, der sein Missfallen verriet.
»Schau mich nicht so an«, sagte Olof schuldbewusst. »Ich weiß, dass ich ein Feigling bin, aber ich mache eben einen Schritt nach dem anderen. Jetzt soll Valerie mit ihrem Sohn erst einmal hierherkommen, dann sehen wir weiter.«
Ludvig bedachte ihn mit einem langen Blick und nickte dann langsam. Damit war es entschieden. Olofs zweite Tochter würde nach Boxenberg kommen.
Olof wurde bei dem Gedanken daran ein wenig schwindelig, aber ein Zurück gab es für ihn ohnehin nicht.
Valerie und Lasse freuten sich sehr, als Ludvig Stekkelson am Nachmittag anrief und ihnen mitteilte, dass Valerie die Stelle bekam. Der Anwalt hatte es sich nicht nehmen lassen, eine Unterkunft für sie zu arrangieren, die ihnen zumindest für den Anfang zur Verfügung stand. Sollte es ihnen dort nicht gefallen, so Stekkelson, würde er ihnen gerne bei der weiteren Suche behilflich sein. Valerie hatte diese Stelle unbedingt gewollt, aber die Welle von Glück, die sie bei der Zusage überrollte, überraschte sie. Auch Lasse umtanzte sie wie ein Irrwisch, als sie ihm die freudige Nachricht mitteilte.
In den folgenden Wochen hatte Valerie alle Hände voll mit der Organisation des Umzugs zu tun. Sie erledigte eine Menge Behördengänge, ließ sich Angebote von Umzugsunternehmen erstellen und machte sich an das Packen der Umzugskartons. Obwohl sie gründlich aussortierte, sich von manchen Dingen voller Wehmut trennte, weil sie überflüssig waren oder nichts mehr mit ihrem Leben zu tun hatten, war die Wohnung am Ende voll von Kartons, Möbeln und Blumen, die sie in ihr neues Leben nach Boxenberg begleiten würden. Es gab Gegenstände, die sie jetzt gerne wegschmiss, wie die hässliche Vase, die sie von Dags Eltern zur Hochzeit bekommen hatten. Valerie hatte sich nie davon trennen können, weil sie die Erinnerung an einen wundervollen Tag repräsentierte.
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