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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
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getan, Lady Diadrelu. So leid es mir auch tut.«
    Dri konnte nicht erkennen, ob die Stimme lachte oder weinte. »Du stiehlst uns die Zeit«, sagte sie. »Was willst du?«
    Ein Schniefen. »Sie werden mir nicht glauben«, sagte die Stimme.
    »ÖFFNE DIE TÜR ODER WIR MACHEN EURE GANZE ELENDE HORDE NIEDER!«, brüllte Talag.
    Das Lachen oder Weinen steigerte sich zur Hysterie.
    Dri zischte ihren Bruder an: »Hast du noch nicht genug angerichtet? Mit deiner Grausamkeit hast du ihn erst so weit getrieben!«
    Talag öffnete den Mund, sagte aber nichts. Die Stimmen der Menschen draußen an Deck wurden lauter.
    »Hörst du es, Feltrup?«, fragte Dri. »Da kommt ein Riese! Nun sprich schon, sonst müssen wir beide flüchten. Was willst du von uns?«
    »Eine Kleinigkeit!« Die Stimme klang erstickt. »Schwört auf den Clan, dass ihr mich nicht verletzt und dass ihr mir zuhört.«
    »Ich schwöre auf den Clan«, sagte Dri.
    »Du kannst doch einer Ratte keinen Eid schwören«, sagte Talag.
    »Ich bin KEINE RATTE!«
    »Talag!« Diadrelu wurde energisch. »Hör auf, ihn zu verhöhnen. Wo hast du deinen Verstand gelassen? Leiste ihm den Schwur, und zwar schnell, oder klettere zur Ritze hinauf! Entscheide dich!«
    Talag hatte die Fäuste so fest geballt, dass die Adern auf dem Handrücken hervortraten. »Ich schwöre auf Clan und Sippe«, sagte er.
    Genau in diesem Augenblick wurde die Tür ins Freie krachend aufgerissen, und der pockennarbige Schreiber erschien. Gleichzeitig scharrte es hinter dem Ablaufrohr. Der Junge wandte ihnen noch den Rücken zu und kämpfte im peitschenden Regen mit der Tür. Talag stemmte sich gegen den Deckel. Der gab nach, und beide Ixchel sprangen in das Rohr. Feltrup ließ die Klappe zufallen. Bruder und Schwester blieben reglos liegen und hielten den Atem an.
    Wenige Zoll über sich hörten sie die schweren Schritte des Jungen. Er fluchte über das Wetter – ein Segen! –, denn hätte er soeben zwei Kriechlinge gesehen, er hätte das bisschen Regen glatt vergessen.
    Lautlos wie Schatten krochen die Ixchel durch das Rohr; Feltrup folgte ihnen mit seltsam hüpfendem Gang. Erst als das Rohr nach fünfzig Fuß fern von allen Menschenohren in einen Kabelschacht einmündete, hielten die drei an. Hier waren sie so sicher wie irgendwo sonst. Diadrelu riss ein Streichholz an und sah neben sich zwei schwarze Augen glänzen.
    »Aber natürlich bist du eine Ratte«, sagte sie.
    Dann zuckte sie zusammen. Die linke Vorderpfote des Tiers war grässlich verstümmelt. Das erklärte das Hüpfen. Feltrup sah ihren Blick und nickte.
    »Der Preis des Überlebens«, sagte er. »Vier Tage lag ich gefangen in diesem Rohr, Lady Diadrelu. Kratzte mit den Zähnen das geronnene Blut ab, damit Luft hereinkam.«
    »Dein Name«, sagte Diadrelu. »Er klingt wie ein Wort aus dem Noonfirth.«
    »Wie klug Sie sind!« Feltrup war entzückt. »Ich bin tatsächlich aus Noonfirth und habe mir den Namen selbst gewählt. Das Wort bedeutet ›Tränen‹. Wissen Sie eigentlich, dass Tränen ein Wunder sind, Lord und Lady? Ratten vergießen keine Tränen. Ratten können nicht begreifen, wozu sie gut sind. Und ich war ein Tier wie alle anderen im Pól-Bau, bis ich eines Morgens bei Sonnenaufgang ein paar Krumen aus einer Bäckerei stehlen wollte. Das frische Brot roch an jenem Morgen so verlockend, ein Duft von Honigsüße und Butterschmelz …«
    »Magenerinnerungen«, spottete Talag. »Und dafür bringst du uns in Lebensgefahr?«
    »Nein, Lord Talag, aber sie sind einer der Gründe, warum Sie mir nicht nach dem Leben trachten sollten.«
    »Erzähle uns deine Geschichte«, sagte Diadrelu. »Aber mach bitte schnell.«
    Feltrup verneigte sich. »Es war noch dunkel. Durch ein zerbrochenes Fenster sprang ich in den Keller, kroch dann die Treppe hinauf und spähte in die Backstube. Da stand sie! Am Lehmofen, das schwarze Gesicht leuchtete im Feuerschein. Als Erstes sah ich, dass sie allein war. Bisher hatte stets ihr Mann an ihrer Seite gearbeitet, aber jetzt war er nicht mehr da. Warum fiel mir das überhaupt auf? Er hatte die Krumen nicht mitgenommen; es gab reichlich zu essen für mich. Aber ich konnte nur dastehen und staunen. Dann ging die Frau in einen Nebenraum, kehrte mit einem Bild zurück, das die beiden im Hochzeitsstaat zeigte – woher wusste ich das, woher? –, und warf es mit einem seltsamen Wimmern in den Ofen. Dann setzte sie sich auf einen Hocker. Und weinte!
    Ich sah ihre Tränen, Vettern. Und das war der Augenblick der großen

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