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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
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Pathkendle zugeflüstert? Das können wir nicht einfach unterstellen.«
    »Können wir nicht?«, sagte Talag. »Willst du damit sagen, diese Missgeburt von einem Teerjungen könnte noch ein anderes Geheimnis kennen, das so schrecklich wäre wie die Tatsache, dass wir an Bord sind?«
    »Solche Geheimnisse gibt es«, sagte Dri. »Erst letzte Nacht haben wir zugesehen, wie die Leibgarde des Botschafters einen unschuldigen Mann mit Todesrauch folterte und von ihm verlangte, den Mord zu gestehen, den wir verhindert haben.«
    »Für dich gibt es nur unschuldige Menschen«, höhnte Talag. »Und den Mord hast du verhindert, nicht der Clan. Du hast dem Mörder einen Pfeil ins Bein geschossen und ihn damit zum Stolpern gebracht, obwohl dieser fette Seifenhändler dich hätte sehen können …«
    »Er hat nichts gesehen«, sagte Diadrelu.
    »… und obwohl der Mörder selbst deinen Pfeil später noch finden könnte und wir dann alle verraten wären.«
    »Er wird meinen Pfeil nicht finden, Talag, denn der steckt tief in seiner Haut. Und sollte er ihn doch herausholen, dann hat er einen halb aufgelösten Splitter, den er niemals mit den Ixchel in Verbindung bringen wird.«
    »Und das ist keine Unterstellung?«, fragte Talag.
    »Was hättest du denn getan?«, wollte sie wissen. »Den Kammerdiener sterben lassen?« Sie wusste, dass Talag sie nur ärgern wollte (und wer könnte das besser als ein Bruder?), aber das machte seine Sticheleien nicht leichter zu ertragen. »Ich bin keine Närrin, Talag! Ich unterstelle nicht, dass die Riesen gut sind. Aber ich unterstelle auch nicht, dass sie alle gleich sind, Strähnen in einem einzigen Tau, das zur Henkersschlinge für das gesamte unschuldige Ixchel-Volk bestimmt ist. Es gibt viel Bosheit auf der Welt, gewiss. Aber so einfach ist es ganz sicherlich nicht.«
    »Sie haben uns aus der Heimstatt-jenseits-des-Meeres gerissen. Sie haben uns in ihren Museen, Akademien und Zoos ausgestellt wie Insekten. Und wie Insekten töten sie uns, seit wir ihnen entkamen und ihre Schiffe und Häuser unterwandern. Das ist die Wahrheit, Dri. Und sie ist so einfach.«
    »Die Entführung liegt fünfhundert Jahre zurück«, sagte Dri. »Die Riesen haben sie längst vergessen und halten unsere Insel für einen Mythos. Es ist vorbei.«
    Talags Blick war voll kalter Verachtung. »Vorbei ist es erst, wenn wir wieder zu Hause sind«, sagte er. »Seit dem Untergang der Maisa gibt es nur noch ein Schiff, das uns über die Herrschersee bringen kann. Das Schiff heißt Chathrand, und es wird uns mitnehmen, das schwöre ich dir bei Rins lieblichem Stern.«
    Dri sagte nichts. Einen Augenblick später schlug die Schiffsglocke achteinhalb Glasen.
    »Wir müssen gehen«, sagte Talag.
    Bei Tageslicht unterwegs zu sein war für die Ixchel natürlich lebensgefährlich, aber es gab keinen anderen Weg zu diesem Beobachtungsstand. Ihr Tunnel führte durch die Abteilwand wie durch das Innere eines hohlen Baumes senkrecht nach unten und dann durch einen zwei Zoll großen Zwischenraum, den sie durch Klopfen ausfindig gemacht hatten, zum Heck zurück. Kurz vor dem Ende des Kriechgangs hatte Talag mit Holzkohle ein ›X‹ gezeichnet: Das war die Stelle genau unterhalb des Binnakels oder Kompasshauses. Talag hatte Pläne mit diesem Binnakel, über die er allerdings mit niemandem sprechen wollte.
    Der Kriechgang endete an einer schmalen Fuge an der Decke eines kurzen Verbindungsgangs. Von dort brauchten sie nur noch an der rauen Holzwand hinab auf den Boden zu huschen, sechs Fuß weit durch den Gang zum Ablaufrohr zu rennen und hineinzuspringen. Bei einem Sturm konnten jedes Mal, wenn ein Matrose vom Oberdeck herunterkam, eine oder zwei Badewannen voll Regen und Salzgischt in den Gang gespült werden. Durch das dünne Ablaufrohr floss dieses Wasser zurück ins Meer. Sein Deckel hatte ein Federscharnier, er wurde vom Gewicht des Wassers aufgedrückt und klappte von selbst wieder zu, sodass der kalte Wind nicht eindringen konnte. Für die Ixchel war es eine Kleinigkeit gewesen, weitere Löcher in dieses Rohr zu schneiden (jeweils am oberen Rand, damit nicht zu viel Wasser heraussickerte), um es als Korridor zwischen den Decks zu benützen.
    Die Schwierigkeit war der Bataillonsschreiber, ein blasser Junge, dessen Gesicht nach kürzlich überstandener Krankheit von Windpockennarben gezeichnet war. Er hockte von morgens bis abends mit einem großen wasserfleckigen Notizblock auf den Knien auf einem Schemel vor Sergeant Drellareks Kabine und

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