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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
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Endlich hatte Pazel den Brunnen erreicht und klappte den Holzdeckel zurück.
    Ein eiskalter Hauch strich ihm über den Rücken; er hatte plötzlich das Gefühl, als fassten Hände nach seinen Armen und Beinen. Hände wie die von Glindrik, die ihn aufhoben und in einen Schacht werfen wollten, der diesem hier zum Verwechseln ähnlich war.
    Pazel schüttelte den Gedanken ab, füllte die Eimer und stellte sie kurz auf den Boden, um sich auszuruhen. Er schaute nach Norden, wo der Fluss in breiten Schleifen in den Hügeln von Westfirth verschwand. Trockenes Land, überlegte er. Wenn man sich vorstellte, dass man einfach immer weiter marschieren konnte, so wie ein Schiff aufs offene Meer hinausfuhr, um Monate oder Jahre zu reisen, ohne jemals eine Küste zu erreichen. Der Gedanke war ihm immer schon abwegig vorgekommen.
    Er schaute den Hang hinab. Das Hausboot konnte er nicht erkennen, aber hinter den niedrigen Kiefern zwinkerte ihm das Meer zu. Seit zwanzig Jahren allein, dachte er. Was hattest du für einen Traum, Glindrik?
    Dann drehte er sich um und sah den Friedhof.
    Er lag sehr schön unter den Apfelbäumen – zwanzig oder dreißig Gräber in kurzen Reihen, jedes mit Flusskieseln geschmückt, die in Form des Milchbaums gelegt waren. Menschengräber, dachte er. Die Flikker verehrten weder Rin noch sonst einen Gott der Menschen.
    Es hätte eine rührende Szene sein können, aber nach seinen schlimmen Erfahrungen in Uturphe fand Pazel sie beunruhigend. Sein Misstrauen war geweckt. Glindrik hatte kein Wort über die Pfleglinge verloren, die in ihrer Obhut gestorben waren.
    Plötzlich ertönte von unten ihre Stimme: »Pazel! Pazel! Komm zurück, mein Junge. Du musst dich ausruhen!«
    Pazel regte sich nicht. Warum hatte sie den Friedhof nicht erwähnt, wenn sie doch über so vieles gesprochen hatten?
    Wieder rief Glindrik nach ihm, diesmal klang es drängender. Er nahm die Eimer auf und machte sich auf den Weg hangabwärts. Aber seine Beine waren schwer wie Blei. Ein schrecklicher Verdacht keimte in ihm auf: Hatte sie mit diesen Jungen Versuche angestellt? Ihre Tränke und Aufgüsse zuerst an Menschen ausprobiert, um zu sehen, ob sie heilten oder töteten?
    Hinter einem ausladenden Busch blieb Pazel stehen. Nur das Summen der Bienen war zu hören. Glindrik hatte aufgehört, seinen Namen zu rufen.
    Was für ein Unsinn, dachte er. Sie hat dir das Leben gerettet. Doch seine innere Angst hielt ihn noch einen Moment zurück. Dann holte er tief Luft und ging die Uferböschung hinab auf das Hausboot zu.
    Er glaubte, sie würde ihn am Ufer erwarten, aber sie war in der Kabine. Er überquerte die Planke und trat an Deck. Ihre Stimme war zu hören.
    Aber Glindrik sprach nicht mit ihm.
    »Sehr krank!«, sagte sie. »Für euch nicht zu gebrauchen. Und jetzt hat er sich in die Wälder geschleppt. Wahrscheinlich, um dort zu sterben.«
    »Habe ich es dir nicht gesagt?«, lachte ein Flikker-Mann.
    »Du hast es mir gesagt, Pradjit. Aber ich bin eine alte Närrin, die nichts mehr dazulernt.«
    Pazel erstarrte. Seine Entführer waren zurückgekommen. Lautlos stellte er die Eimer ab.
    »Wir sollten seine Knochen mitnehmen«, sagte ein anderer Flikker.
    »Die Knochen gehören mir!«, kreischte Glindrik. »Ich habe sie euch abgekauft, wisst ihr nicht mehr? Außerdem ist er schon vor Tagen weggelaufen. Nein, Freunde, er ist fort, weit fort!«
    »Warum schreist du denn so, Weib? Bist du taub?«
    Pazel wusste warum. Das Herz klopfte ihm bis zum Halse. Er trat wieder auf die Planke und überquerte sie auf Zehenspitzen. Doch sobald er festen Boden unter den Füßen hatte, hielt ihn nichts mehr. Er rannte den steilen Pfad hinauf, stürmte durch den Garten, bog um den Busch herum …
    … und prallte mit einem Flikker zusammen, der erschrocken aufkeuchte, einen Arm voll Äpfel fallen ließ und Pazel mit einer Berührung betäubte.
     
    *     *     *
     
    Als er erwachte, war es fast dunkel. Er lag mit dem Gesicht nach unten in einem der schmalen Flikker-Boote: Vielleicht war es sogar dasselbe, das ihn von Uturphe hierher gebracht hatte. Die Hände hatte man ihm hinter dem Rücken gefesselt.
    »Diese verlogene Hexe«, sagte eine Flikker-Stimme. »Der Junge ist vollkommen gesund; heute Nacht kriegen wir mehr für ihn als bei der letzten Versteigerung. Aber warum belügt sie uns? Warum verkauft sie ihn nicht einfach zurück?«
    »Sie hintergeht uns«, sagte eine zweite Stimme. »Die Hexe muss einen anderen Käufer haben. Warum sollte sie sich

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