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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
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flaues Gefühl in der Magengrube. Es wurde von Stunde zu Stunde stärker, und am dritten Tag zitterte er vor Kälte.
    »Was hat er nur?«, fragten die Flikker einander.
    »Fieber«, sagte Pazel. »Ich habe Schüttelfrost und Fieber.«
    »Er faselt. Er redet irre.« Sie wiegten die Köpfe.
    »Von dem Fisch würde ja einer Hafenratte übel. Habt ihr nichts anderes?«
    Sie überlegten laut, welche Sprache er wohl spräche. Und Pazel biss sich wütend auf die Lippen, denn er glaubte, sie wollten ihn necken. Eure Sprache, ihr hässlichen Rüpel! Erst sehr viel später begriff er, dass sie Recht hatten: Er war im Fieberwahn und sprach Ormal. Und er fragte sich, ob er womöglich sterben müsse.
    Die Zeit löste sich noch weiter auf; ein heißer Nachmittag mit lästigen Fliegen wurde plötzlich zu feuchter, kalter Nacht. Ungeachtet aller Schmerzen, Schweißausbrüche und Schwindelanfälle waren Pazels seelische Qualen am größten. Fragen fielen über ihn her wie die Geier, als stieße ein gieriger Vogel nach dem anderen vom Himmel herab und hackte nach seinem Gehirn. War Hercól noch am Leben? Wer hatte ihn überfallen, und wer hatte diesen Zirfet getötet? Hatten die Ixchel mitbekommen, dass Tascha von ihrer Anwesenheit auf der Chathrand wusste, und hatten sie ihr inzwischen die Kehle durchgeschnitten? Was würden die Flikker mit ihm anfangen, wenn er zu schwach war, um verkauft zu werden?
    Feuchte Hände scheuchten ihm die Fliegen vom Gesicht. Nasse Tücher wurden ihm gegen die Stirn gedrückt, die Brust wurde ihm mit einer ätzenden Flüssigkeit eingerieben. Man hob ihn von einem Boot ins andere. Man löffelte ihm warme Brühe in den Mund; der Wein wurde durch blankes Wasser ersetzt. Tage und Nächte wechselten sich ab, als schlüge eine Tür im Wind heftig auf und zu: Lampenschein, Dunkelheit, wieder Lampenschein.
    Und eines Morgens schreckte Pazel auf und erkannte, dass die Krankheit überwunden war. Er war dünner und schwächer, aber sein Kopf war so klar, als hätte ein steifer Seewind die Wolken vertrieben und den klaren, kühlen Sternenhimmel freigelegt.
    Er lag in einem größeren Boot mit einer überdachten Kabine. Er war nackt und ungefesselt, aber in eine Decke gehüllt, die um die Füße herum fest eingeschlagen war. Eine Flikker-Frau kauerte an einem Holzöfchen, rührte in einem Kessel mit Eintopf und sang: Die armen kleinen Feldmäuse haben sich im Sturm verirrt; und nur eine wilde Katze ihnen Wärme geben wird.
    Sie war sehr alt. Ihre grünlich-braune Haut war trocken und runzelig, und die Gelenke ihrer großen Hände waren steif und geschwollen. Sie sah ihn an und krächzte zufrieden.
    »Aufgewacht!«, sagte sie im altertümlichen Arqual der Flikker. »Ich wusste, dass Ihr ein starkes Herz habt. Geht es Euch besser, Junge?«
    »Es geht mir sehr viel besser«, antwortete Pazel in ihrer Sprache.
    Die Alte ging hoch wie ein Feuerwerkskörper und ließ den Holzlöffel fallen. »Du sprichst Flikker!«, rief sie.
    »Wo bin ich, bitte?«, fragte Pazel.
    Sie hob den Löffel auf, humpelte auf ihn zu und schlug ihn damit kräftig ins Gesicht. »Spürst du das?«
    »Aber ja!«, sagte Pazel und hielt sich die Wange.
    »Gepriesen sei das Blut der Erde! Noch vor ein paar Tagen war deine Haut gefühllos – gefühllos und kalt wie bei einem Ertrunkenen. Und jetzt sieh dich an! Du wirst leben, du seltsamer Menschenjunge.«
    Pazel sah seine zerschlissenen Kleider zusammengefaltet an einer Seite ihres Holztischs liegen, über den restlichen Tisch waren zu seiner Verwunderung Bücher verstreut. Sie waren schmutzig, durch viele Hände gegangen, die Rücken gebrochen und wieder genäht, manche Seiten zerfetzt. Es waren fast ausschließlich medizinische Werke; ja, als Erstes fiel sein Blick auf Parasiten: Eine wissenschaftliche Untersuchung von Doktor Ignus Chadfallow.
    »Du hast mich gepflegt, nicht wahr?«, fragte er.
    »Ganz richtig«, sagte die Alte. »Dreizehn Tage lang.«
    »Dreizehn!«
    Mit einem gütigen Lächeln (einem Ausdruck, den Pazel auf einem Flikker-Gesicht nicht für möglich gehalten hätte) half sie ihm, aus dem Bett aufzustehen und sich in einen Stuhl am Ofen zu setzen. Ihr Name sei Glindrik, sagte sie; sie sei hier zu Hause.
    »Was ist aus den anderen geworden? Sie wollten mich doch zu einer Versteigerung bringen.«
    Sie keckerte. »Das hat deine Krankheit verhindert. Du hast die Versteigerung glatt verschlafen. Der alte Pradjit war so wütend, dass er dich am liebsten gleich getötet, deine Knochen

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