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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
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ausgekocht und sie für eine halbe Goldmuschel an die Geistheiler von Slugdra verkauft hätte. Zum Glück bin ich noch rechtzeitig dazugekommen. Lass die Decke über deiner Brust, mein Lieber. Und stell die Füße auf das Kamingitter. Sie sind immer noch kalt wie Eiswasser.«
    Sie gab ihm eine Schale mit heißem Eintopf, dann setzte sie sich ihm gegenüber und begann zu plaudern. Sie war eine zweifellos sehr ungewöhnliche Flikker und wusste das auch – man nannte sie ›die verrückte Glindrik von der Westbucht‹, wie sie nicht ohne Stolz bemerkte. Sterbende Menschen waren offenbar ihr Steckenpferd. Sie lebte schon seit zwanzig Jahren allein hier am Fluss, gleich gegenüber der Stelle, wo die ›Versteigerung‹ stattfand, was immer darunter zu verstehen war. Und jedes Mal, wenn die Flikker von Uturphe mit einem Gefangenen kamen, der zu krank war, um mit Gewinn verkauft zu werden, übernahm ihn Glindrik für billiges Geld und machte sich daran, sein Leben zu retten.
    Als Pazel sie fragte, warum sie das tue, runzelte sie nur die Stirn. Warum nicht? Sie hatte keine Kinder. Ihr Ehemann war schon lange tot. Was sollte sie sonst mit den wenigen Jahren anfangen, die ihr noch blieben?
    Er wollte schon fragen: ›Aber warum hilfst du Menschen?‹ Etwas in ihren Augen ließ ihn jedoch ahnen, dass die Frage sie tief verletzen würde. Und Pazel schämte sich prompt dafür, dass er einfach voraussetzte, kein Flikker könnte ihm anders als übelgesinnt sein.
    Durch ihr Fenster sah er, dass der Fluss ungeheuer breit war. Das andere Ufer schien meilenweit entfernt zu sein, und er sah Dutzende von dicht bewaldeten Inseln, über denen Möwen und andere Wasservögel ihre Kreise zogen.
    »Sind wir hier nahe am Meer, Glindrik?«
    »Sehr nahe«, sagte sie. »Das Wasser ist selbst für Flikker zu salzig zum Trinken. Aber am Hang hinter den Apfelbäumen gibt es einen Brunnen.«
    »Finden die Versteigerungen oft statt?«
    »Alle zwei Wochen. Aber wo hast du Flikker gelernt, mein Junge? Bist du bei uns aufgewachsen?«
    Sie verplauderten den ganzen Vormittag. Sie wollte alles über seine Gabe wissen und war fasziniert von seinen Hirnkrämpfen. Sie blätterte sogar in ihren Büchern und suchte nach einem Weg, sie zu verhindern oder zu verzögern. »Nachtblühendes Schwarzflusskraut vielleicht«, sagte sie. »Du musst die Blüten kauen, sie dämpfen die Neigung des Gehirns zu Krampfanfällen. Einen Versuch wäre es wert.«
    Am Nachmittag hielt er ein Schläfchen, und als er wieder erwachte, fühlte er sich vollkommen geheilt. Er kleidete sich an und ging über die kleine Planke, die ihr Hausboot mit dem Ufer verband, an Land. Obwohl sie protestierte, nahm er ihr Beil, spaltete mehrere Dutzend Holzklötze in kleinere Scheite für den Herd und trug sie hinein. Dann sagte ihm Glindrik, dass in drei oder vier Tagen ein Elchjäger vorbeikäme, eine ›ehrliche Haut‹, der ihn über Land nach Uturphe zurückbringen würde.
    »Wie kann ich dir danken?«, fragte Pazel.
    Glindrik lächelte. »Was willst du mit deinem Leben anfangen, Pazel Pathkendle?«
    Pazel sah sie überrascht an. »Das hat mich noch niemand gefragt«, sagte er. »Und ich kenne auch die Antwort nicht. Segeln wie mein Vater, dachte ich immer, aber das wird das Seefahrtsgesetz nicht zulassen. Also gehe ich vielleicht eines Tages wieder zur Schule, wenn ich eine finde, die Ormalier aufnimmt. Aber zuvor muss ich natürlich diesen greimigen Krieg verhindern und meine Familie wiederfinden und …«
    Er unterbrach sich. Plötzlich war vor seinem inneren Auge ein Bild von Tascha erschienen.
    Glindrik streckte ihre magere Hand aus und legte sie auf die seine. »Sehr verworren!«, sagte sie. »Mein Lebenstraum war nicht so schwer zu erzählen.« Ihr Lächeln war ziemlich traurig. »Nein, das war sogar ganz leicht.«
    »Was war dein Traum, Glindrik?«
    Sie erhob sich seufzend. »Erst muss ich Wasser holen.«
    »Lass mich das machen«, sagte Pazel und sprang auf.
    Sie sah ihn nachdenklich an. Endlich sagte sie: »Dann hol es, mein Lieber, aber was immer du tust, bleib nicht zu lange weg. Du musst dich bald wieder hinlegen. Ich möchte, dass du in zehn Minuten zurück bist, verstanden?«
    »Ja, Doktor«, sagte er, und Glindrik lachte erfreut.
    Der Weg zum Brunnen führte in vielen Windungen das sandige Ufer hinauf, durch Glindriks Gemüsebeete und über eine Wiese mit knorrigen Apfelbäumen. Bienen und Grashüpfer schwirrten umher, und Kaninchen fraßen sich an ihrem Weiß- und Grünkohl satt.

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