Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
Vom Netzwerk:
duckten sich, wenn die Decke zu niedrig wurde, und öffneten mit Moos bewachsene Pforten. Endlich richteten sie ihn auf und hielten ihm eine Flasche an die Lippen. Was er schluckte, war süß und salzig zugleich und stieg ihm zu Kopf wie Wein.
    So ging es immer weiter. Irgendwann begannen die Flikker zu singen. Es war ein kaltes, trauriges Lied, das rasch dahinrauschte wie ein Fluss im Dunkeln, und Pazel fragte sich zum ersten Mal, wer diese Flikker eigentlich waren, diese Männer, die nie zur See fuhren und als eigene Rasse in den Städten der Menschen lebten.
     
    Wir schnitten das Gras, wo der Weizen blüht golden.
    Wir legten die Saat für die Pappeln, die holden.
    Die Menschen vergessen, wir singen indessen:
    Wir wissen es noch, wo die Fluten einst rollten.
     
    Wir fällten die Bäume für die Flotte der Sieger.
    Wir förderten Erz für die Schmieden der Krieger.
    Vom Abend zum Morgen, ein Jahrhundert vorbei:
    Wir legten das Pflaster, erkennt ihr es wieder?
     
    Schaurig der Wind über dem geraubtem Land.
    Schaurig der Morgen, der wieder uns fand.
     
    Und wird es dann hell, ist der Flikker zur Stell’
    Und hat euch den Preis eurer Kinder genannt.
     
    Verweilet nicht lang, wenn die Schule zu Ende,
    Steht nicht beisammen im freien Gelände.
    Die Blüten verwehen, die Reiche vergehen,
    Wir horten die Münzen, die ihr verschwendet.
     
    Der Wind reißt die Fahne so herzlos vom Mast,
    Der Fluss, er schwillt an, vom Sturme erfasst.
    Die Menschen vergessen, wo sie einst gewesen:
    Am End’ ist er unser, des Königs Palast.
     
    Kaum waren die letzten Worte über ihre Lippen gekommen, da stimmten sie schon das nächste Lied an. Pazel war von dem Getränk immer noch wirr im Kopf. Bald glitt er in einen unruhigen Schlaf, in dem die Stimmen weitersangen, Lieder von verschwundenen Stämmen, Festmählern im Sumpf und Flikker-Königinnen mit Onyxkronen und Tüchern aus Schmetterlingsflügeln.
    Irgendwann kam er kurz zu sich und stellte fest, dass er sich nicht mehr unter der Erde befand. Das Boot fuhr jetzt im hellen Mondschein auf einem Fluss. Die Ufer waren steil, das Land wirkte taunass und trostlos. Vereinzelt glitten in der Ferne steinerne Bauernhäuser mit erleuchteten Fenstern vorbei, und einmal bäumte sich hinter einem Zaun ein reiterloses Pferd auf und wieherte, aber er sah niemanden, den er um Hilfe hätte anrufen können.
    Er schlief wieder ein, und als er das nächste Mal erwachte, war es heller Tag. Das Boot war von Schilf und hohem Sumpfgras umgeben; Pazel konnte den Fluss nicht einmal mehr sehen. Sie lagen vor Anker, und die Flikker aßen kalten Fisch und scharfe Pfefferschoten, die sie in irgendwelche Blätter gewickelt hatten. Als sie fertig waren, richtete einer ihn auf und flößte ihm noch einen großen Schluck von dem salzig-süßen Wein ein. Dann überprüften sie seine Fesseln, wuschen sich die Gesichter mit Sumpfwasser und rollten sich in den Booten zum Schlafen zusammen. Nach wenigen Minuten tat der Wein seine Wirkung. Pazel kippte nach vorne und fiel zwischen seine Entführer.
    Er erwachte erst nach Einbruch der Nacht, mit knurrendem Magen und sonnenverbrannter Haut. Sie waren wieder auf dem Fluss. Andere Boote fuhren dicht neben ihnen; andere Flikker stimmten in die Lieder seiner Entführer ein. Pazel sah Gefangene, gefesselt wie er selbst, die Gesichter gezeichnet von Müdigkeit und Angst. Die Landschaft lag im silbernen Mondlicht offen vor ihnen, aber weit und breit gab es weder Äcker noch menschliche Siedlungen. Nach einem weiteren Schluck aus der offenbar unerschöpflichen Weinflasche gaben sie ihm drei Bissen ihres in Blätter gewickelten Fischs. Er schmeckte sauer und scharf, aber Pazel aß gierig, und die Flikker lachten: »Chplegmun. «
    Wenig später bemerkte er, dass seine Entführer das Ufer beobachteten. Pazel hob den Kopf und sah ein Rudel gespenstisch grauer Hunde durch das Unterholz hetzen und sie mit Augen mustern, die so rot waren wie glühende Kohlen. Schwefelhunde. Wenn sie ihre Beute erlegt hätten, so hieß es, fräßen sie das noch warme Fleisch und kauten dann bis Tagesanbruch an den Knochen, bis sie nur noch Staub waren. Wie sie sich verständigten, wusste niemand, denn sie kläfften und heulten nie. Pazel lag lange Zeit da und beobachtete das Rudel, das lautlos neben den Booten herlief.
    Die nächsten drei Tage verliefen ähnlich – man schlief bei Tag in einer Höhle, einem Dickicht oder einem Sumpf und legte bei Nacht weite Strecken zurück. Aber Pazel hatte ein

Weitere Kostenlose Bücher