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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
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Offiziersmesse, aber für uns gibt es ein kleines Begrüßungsmahl auf dem Zwischendeck. Kommt und esst, solange es noch warm ist.«
    Er deutete mit dem Kopf auf die Fahrgastbrücke und setzte sich in Marsch. Die Jungen zögerten noch. Einer oder zwei erweckten den Anschein, als könnten sie einen letzten Fluchtversuch unternehmen. Fiffengurt warf einen Blick über die Schulter, blieb stehen und kehrte dann zurück.
    »Nun hört mal, ihr Burschen, das kann ich nicht zulassen. Ihr werdet alle an Bord dieses Schiffes gehen. Und nur die haben Grund, sich davor zu fürchten, die wir wie Hühner verschnüren und in einem Sack hinauftragen müssen. Und nun macht euren Namen Ehre und folgt mir.«
    Sie gehorchten nur widerwillig. Der Weg war lang und steil, und ihre Schritte dröhnten so unheimlich wie auf einer Zugbrücke über einen finsteren Graben. Vom Deck über ihnen schallten Rufe und Gelächter herab. Pazel betrachtete mit wild pochendem Herzen die Bullaugen der Chathrand (messingbeschlagen, wunderschön), ihre Stückpforten (wie viele pro Deck? Bei sechzig verlor er den Überblick), die scharlachrote Reling, geschwungen wie ein Zaun um ein herrschaftliches Anwesen, die Wanten, die sich irgendwo in den Weiten des Himmels mit dem Mast vereinten.
    Sie stiegen immer weiter nach oben. Auf dem gusseisernen Wappenschild prangte in goldenen, drei Fuß hohen Lettern der Name des Schiffs. Darunter befand sich in sehr viel kleineren Buchstaben eine Inschrift. Pazel beschattete mit einer Hand seine Augen und begann zu lesen:
     
    Wyteralch, wadri, w ë : ke thandini ondrash, llemad.
     
    Fiffengurt, der unmittelbar vor ihm war, blieb abrupt stehen. Die Jungen hinter Pazel hielten verwirrt an. Der Quartiermeister war sichtlich verblüfft.
    »Wo hast du denn das gehört, Bengel?«
    Pazel begriff erst jetzt, dass er laut gesprochen hatte. Er schaute von dem Wappenschild zu Fiffengurt und wieder zurück. »Ich … ich habe nur …«
    Und dann geschah es. Die Inschrift, die er mühelos und ganz ohne nachzudenken gelesen hatte, veränderte sich. Die Buchstaben zerflossen vor seinen Augen wie Wachs, verwirbelten und verfestigten sich schließlich in neuer Gestalt:
     
    CHATHRAND
    Ob Zauberer, Sultan oder Sturm:
    keiner jemals mein Herr.
    Keine Fahne so breit wie mein Wille stark,
    Keine See so tief wie der Traum meines Erbauers.
    Die Nacht allein kann mich verschlingen,
    wenn sie die Erde verschlingt.
    Dann werde im Trockenen ich schlafen
    in den Tiefen neben meinen geraubten Kindern.
     
    Pazel erschrak so, dass er fast gestolpert wäre. Der Schiffsname war immer noch auf Arqualisch geschrieben, aber darunter stand eine neue Inschrift – nein, es war genau die gleiche Inschrift! – in einer Sprache, die Pazel noch nie gesehen hatte.
    Es fängt an, dachte er. Es fängt wieder an.
    Da war es auch schon: dieses Pochen im Hinterkopf, das wie das Schnurren eines erwachenden Tieres klang. Pazel betrachtete die seltsamen Lettern. Er wusste nicht einmal, wie die Sprache hieß – aber er konnte sie lesen.
    Übergangslos und fehlerfrei.
    Und er begriff in jäh aufwallendem Zorn, was Chadfallow ihm angetan hatte.
    Fiffengurt richtete sein gesundes Auge auf Pazel. »Wo es steht, weiß ich selbst, du Schlauschwätzer«, sagte er. »Aber du hast eben Arqualisch gesprochen.«
    »Wirklich?«
    »Das weißt du doch greimig genau! Und so hochgestochen, als wärst du bei Hofe. Wer hat dir den Segensspruch übersetzt?«
    »Ich … ich muss ihn wohl irgendwo gehört haben«, sagte Pazel. »Vielleicht auf meinem alten Schiff.«
    »Name?«
    »Die Eniel.«
    »Dein Name, Trottel!«
    »Pazel Pathkendle, Sir!«
    »Hmmm«, brummte Fiffengurt. »Nun, ihr Burschen, Mr. Pathkendle hat soeben den Segensspruch des Schiffsbauers aufgesagt. Bei jedem alten Schiff hat ein Magier, ein Seher oder Rin weiß wer irgendwelchen Hokuspokus veranstaltet, bevor es zum ersten Mal zu Wasser gelassen wurde. Nicht alle Sprüche sind Segenswünsche wie der, den ihr eben gehört habt. Es gibt auch Bannsprüche, Prophezeiungen – sogar Flüche gegen jeden, der dem Schiff Schaden zufügen will. Was die Erbauer der Chathrand im Sinn hatten, weiß niemand genau. Aber nun merkt gut auf: Man spricht diese Worte an Bord nicht laut aus. Das bringt Unglück, und Kapitän Rose wird es nicht dulden.«
    Er drohte Pazel mit dem Finger. Dann lächelte er ihm auf diese verwirrende Weise über die Schulter hinweg zu und setzte den Anstieg fort.

8
     
    D IE G ABE
     
     
    Vaqrin 941
    9.16

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