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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
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ihn und schrie ihre Mutter an, als hätte sie den Anfall und nicht er. Bald keifte Suthinia zurück. Der Lärm war unbeschreiblich.
    »Aufhören! Aufhören!«, heulte Pazel. Aber niemand verstand ihn. Als Neda anfing, mit Untertassen und Zwiebeln zu werfen, rannte er zum Nachbarhaus und versteckte sich unter der Veranda.
    Nach drei Stunden ging der Anfall jäh zu Ende. Pazel kroch wieder ins Freie. Die Nachbarin sang beim Kochen mit einer ganz normalen, menschlichen Stimme. Es waren die schönsten Laute, die er je gehört hatte.
    Zu Hause sagte ihm seine Mutter, Neda habe ihre Kleider zu einem Bündel geschnürt und sei gegangen. In der folgenden Woche erhielt er einen Brief – sie wohne bei Schulfreunden, sie suche nach Arbeit, und sie würde ihrer Mutter niemals verzeihen.
    Neda schickte einen Jungen, der ihre Sachen abholte. Sie selbst kam nie zu Besuch, und sie schrieb auch nicht mehr. Doch eines Tages fand Pazel einen angefangenen Brief auf der Kommode seiner Mutter. Komm um Pazels willen zurück, Neda, stand darin. Du brauchst mich nicht zu lieben. Der Brief lag tagelang unvollendet da: Wie sich zeigte, waren es zu viele Tage.
    Der Zauber wirkte immer in der gleichen Weise: Erst zeigte sich die Gabe, die ihm die Welt zu Füßen legte, dann kamen die Krämpfe, die ihn von allem ausschlossen. Ein paar Tage voller Wunder, ein paar Stunden in der Hölle. Natürlich war die Gabe unglaublich nützlich – und er vergaß auch keine der Sprachen, die sie ihm erschlossen hatte, jemals wieder –, aber die Anfälle erschreckten ihn zu Tode. Einmal hätten sie ihn tatsächlich fast umgebracht: Die Walfischer auf der Anju steckten ihn so lange in einen Kohlensack, bis er das Bewusstsein verlor. Als er erwachte, war er im Schweinestall eingesperrt und musste bis zum nächsten Landgang dort bleiben. Die Seeleute meinten, er könne von Glück reden: Der Kapitän hätte im Glauben, er sei von Teufeln besessen, bereits angeordnet, ihn über die Reling zu werfen.
    Zufällig hatten sie in Sorhn angelegt – und Pazel begab sich schnurstracks zu der berühmten Straße, wo Hexen, Alchimisten und die Geistheiler von Slugdra ihr Handwerk ausübten. Er musste lange suchen, doch endlich verwies man ihn an einen Tränkebrauer, der ihm seine Ersparnisse für die Bürgerrechte bis auf den letzten Groschen abknöpfte und ihm dafür ein dickflüssiges, violettes Öl gab. Das Öl brodelte leise; wenn die Blasen platzten, hörte man ein leises Seufzen wie von einer sterbenden Maus, und es roch nach Verwesung. Er trank es in einem Zug.
    Der Trank wirkte. Fast ein Jahr verging, ohne dass er einen einzigen Hirnkrampf bekam. Dass er – jedenfalls durch Zauberei – keine weitere Sprache lernen würde, erschien ihm ein geringer Preis. Doch nun war die Gabe mit all ihren Schrecken zurückgekehrt, und das hatte er Chadfallow zu verdanken. Sein Bedauern darüber, mit dem Arzt gebrochen zu haben, verschwand sofort, wenn er an den Geruch von Stechäpfeln und an das schauerliche Kreischen dachte. Schlimmer für dich als für mich. Wie hatte ihm Chadfallow das antun können?
    Hoffentlich kommen die Anfälle bei Nacht, dachte er. Und bitte nicht, während ich Dienst habe!

9
     
    R UFEN UND F LÜSTERN
     
     
    Vaqrin 941
    9.19 h
     
    Auf jeden Fall (sagte sich Pazel, während er die Brücke hinaufstieg) brauchte er sich für die nächsten Tage keine Sorgen zu machen. Er hatte ein neues Schiff zu entdecken und musste sich ein neues Leben aufbauen.
    Auf halbem Weg zum Oberdeck hörte er seinen Namen. Er drehte sich um und entdeckte den kleinen Jungen mit dem Turban direkt hinter sich. Der Junge grinste und fragte fast im Flüsterton: »Wo hast du diese Sprache gelernt? Ganz ehrlich!«
    »Ich kann sie gar nicht«, sagte Pazel erschrocken. »Es ist, wie ich zu Fiffengurt sagte – jemand hat für mich übersetzt.«
    »Quatsch!«, sagte der Junge und streckte ihm die Hand hin. »Ich kann jede Lüge riechen, und die war nicht einmal sehr geschickt. Du heißt Pazel, sagst du? Mein Name ist Neeps.«
    »Neeps?«
    Der Kleinere wurde ernst. »Natürlich ist der Name lächerlich.«
    »Wieso denn?«
    »Auf Sollochi bedeutet er so viel wie DONNER‹.«
    »Aha«, machte Pazel, obwohl er das bereits wusste.
    »Tatsächlich ist Neeps eine Abkürzung von Neeparvasi«, sagte der Junge, »aber im arqualischen Reich darf man nicht Neeparvasi heißen. Die Lieblingskonkubine des Kaisers hatte einen Sohn mit diesem Namen, und der ist aus irgendeinem Grund in Ungnade gefallen

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