Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
Vom Netzwerk:
und stark, und sein glatt rasiertes Gesicht strahlte heitere Gelassenheit aus.
    Sobald alle am Tisch saßen, ließ Fiffengurt sie allein. Die Hammelpastete war heiß und schmackhaft, und als alle fertig waren, führten Peytr und Dastu die Neuen auf der Chathrand herum. Viel Zeit hatten sie nicht: Das Schiff sollte bei Einbruch der Dunkelheit auslaufen, und die letzten Arbeiten wurden in fieberhafter Eile erledigt. Schwitzende Fähnriche rannten vom Bug zum Heck und wieder zurück und brüllten unablässig Befehle. Kranarme hoben und senkten sich. Ganze Brigaden von Matrosen rollten Fässer über die Decks. Die Jungen wurden angerempelt, man trat ihnen auf die Füße, verlachte und verwünschte sie. Wo sie auch standen, irgendjemandem waren sie immer im Weg.
    Dennoch war Pazel wie verzaubert. Es gibt kaum etwas Schöneres als ein voll getakeltes Schiff, und die Chathrand war ein Wunder, neben dem sich alle anderen verstecken mussten. Sie schien Zoll für Zoll von Magiern geschaffen zu sein. Zum Beispiel die berühmten Glasplanken: sechs große, durchsichtige Fenster, die in das Oberdeck eingelassen waren und das Hauptdeck darunter mit Tageslicht überfluteten. Das Hauptdeck hatte seinerseits zwei Glasplanken, und sogar für den Boden des oberen Batteriedecks hatte man noch eine erübrigt. Über diese Glasflächen wurden bedenkenlos Kisten und Geschütze gezogen: in sechshundert Jahren war keine einzige Planke gesprungen oder auch nur undicht geworden. Nur durch große Krafteinwirkungen – Geschützfeuer oder umstürzende Masten – waren einige zerstört worden. Man hatte sie durch Holz ersetzen müssen, denn der Name der erstaunlichen Quarzmischung war nirgendwo verzeichnet, und kein Mensch wusste mehr, wie sie hergestellt oder wo das Material gefördert worden war.
    Ein weiteres Wunder waren die Sprechröhren: dünne, mit Leder umwickelte Kupferleitungen, die sich zwischen den Decks und den Abteilen hindurch vom Bug zum Heck schlängelten. Bei schlechtem Wetter waren sie kaum zu gebrauchen, und in einer Schlacht beim ohrenbetäubenden Lärm der Geschütze waren sie völlig nutzlos. Aber an ruhigen Tagen konnte der Kapitän mit dem Offizier am Steuer sprechen, ohne sich von seinem Schreibtisch zu erheben, oder er konnte sich Tee bestellen, ohne das Achterdeck zu verlassen.
    Auf den unteren Decks gab es noch absonderlichere Dinge zu sehen. Peytr zeigte den Jungen eine Stückpforte unweit des Bugs, neben der ein weißes, gebogenes Objekt so lang wie Pazels Unterarm ins Holz eingebettet war. Den Jungen verschlug es die Sprache, als sie erkannten, dass es sich um einen Zahn handelte. »Von einer Seeschlange«, erklärte Dastu. »Vor vierhundert Jahren wurde sie von den Kanonieren genau an dieser Pforte getötet. Wie ihr seht, wurde mit dem Zahn ein Riss im Rumpf geflickt: man hoffte, er würde Glück bringen.«
    »Und das ist noch nicht der größte Schrecken auf diesem Schiff«, bemerkte Peytr.
    »Ganz richtig, Bruder«, stimmte Dastu rasch zu. »Aber über manches werden wir heute noch nicht sprechen.«
    Natürlich wurden die Teerjungen dadurch noch neugieriger auf die ungenannten ›Schrecken‹, und schon bald keimten die ersten Gerüchte. Flüche; Ungeheuer im Frachtraum; unheimliche Rituale unter den Matrosen; Teerjungen, die in Fässer mit Salzwasser eingelegt wurden: Bis zum Abend hatte Pazel alles gehört. »Im Achterfrachtraum gibt es einen Balken«, flüsterte ihm ein sommersprossiger Junge namens Durbee zu, »mit den Namen von allen, die seit der Jungfernfahrt an Bord ums Leben gekommen sind. Und obwohl jeder Name nur so groß ist wie ein Reiskorn, ist die Liste dreizehn Meter lang.«
    »Dann gibt es auch noch die verschwundenen Abteile«, sagte ein anderer, der Swift hieß. »Wenn du jemals eine Tür oder eine Luke siehst, wo keine sein sollte – mach sie nicht auf! In diesen Räumen hausen grässliche Wesen – und eins davon lässt dich nie wieder hinaus, wenn die Tür erst hinter dir zugefallen ist.«
    »Und i-i-irgendwo«, warf Reyast ein, ein neuer Junge mit freundlichem Gesicht, der so heftig stotterte, dass seine Lippen zuckten, »g-gibt es eine sp-sp-sprechende D-Diele. Sie st-st-stöhnt mit der Stimme eines K-K-Kapitäns, der dem Wa-Wa-Wahnsinn …«
    »Unsinn, Reyast«, sagte Dastu, der zugehört hatte. »Der einzige Kapitän, der für dich wichtig ist, ist Rose. Wenn du dich schon furchten musst, dann fürchte dich vor ihm und halt dich von ihm fern. Und jetzt kommt alle mit mir! Die

Weitere Kostenlose Bücher