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Winesburg, Ohio (German Edition)

Winesburg, Ohio (German Edition)

Titel: Winesburg, Ohio (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherwood Anderson
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seinen Leuten ab und begann, Pläne zu schmieden. Tag und Nacht dachte er über die Farm nach, und das machte ihn erfolgreich. Andere Männer auf den umliegenden Farmen arbeiteten zu hart und waren zum Denken zu müde, doch über die Farm nachzudenken und immerfort Pläne für ihren Erfolg zu schmieden war für Jesse eine Befreiung. Es vermochte etwas in seinem leidenschaftlichen Wesen teilweise zu befriedigen. Gleich nach seiner Heimkehr ließ er einen Flügel an das alte Haus anbauen, und in einen großen, nach Westen blickenden Raum ließ er Fenster einsetzen, die auf den Hof gingen, und andere Fenster, die auf die Felder gingen. Dann setzte er sich an ein Fenster und dachte nach. Stunde um Stunde und Tag um Tag saß er da und schaute aufs Land und erdachte sich seinen neuen Platz im Leben. Das Leidenschaftliche, Brennende in seinem Wesen loderte auf, und sein Blick wurde hart. Er wollte, dass die Farm Erträge brachte,
wie noch keine in seinem Staat es getan hatte, und dann wollte er noch etwas anderes. Das undefinierbare Verlangen in ihm ließ seine Augen flackern und machte ihn immer noch schweigsamer gegenüber anderen. Er hätte viel darum gegeben, Frieden zu erlangen, und im Innersten fürchtete er, dass Frieden eben das war, was er nicht erlangen konnte.
    Jesse Bentleys ganzer Körper steckte voller Leben. In seiner kleinen Statur bündelte sich die Kraft einer langen Reihe starker Männer. Schon als kleiner Junge auf der Farm und später, als junger Mann an der Schule, war er außerordentlich lebendig gewesen. In der Schule hatte er gelernt und mit allem Verstand und Herzen über Gott und die Bibel nachgedacht. Im Lauf der Zeit, in der er die Menschen besser kennenlernte, betrachtete er sich zunehmend als außergewöhnlichen Mann, als einen, der sich von seinen Mitmenschen abhob. Er wollte sein Leben schrecklich gern zu etwas Bedeutendem machen, und wenn er sich bei seinen Mitmenschen umschaute und sah, wie sie wie rechte Holzköpfe lebten, war es ihm, als würde er es nicht ertragen, ebenfalls ein solcher Holzkopf zu werden. Obwohl er in seiner Versunkenheit in sich und seine Bestimmung der Tatsache gegenüber blind war, dass seine junge Frau die Arbeit einer starken Frau leistete, selbst nachdem sie schon schwanger war, und dass sie sich in seinem Dienst zugrunde richtete, hatte er eigentlich nicht vor, unfreundlich zu ihr zu sein. Als sein Vater, der alt war und von Mühsal verkrümmt, ihm den Besitz der Farm übertrug und es zufrieden schien, sich in eine Ecke zu verkriechen und auf den Tod zu
warten, zuckte er mit den Achseln und verbannte den alten Mann aus seinen Gedanken.
    In dem Zimmer am Fenster mit Blick über das Land, das ihm zugefallen war, saß Jesse und dachte über seine Lage nach. In den Ställen hörte er das Stampfen seiner Pferde und die Unruhe seines Viehs. Draußen auf den Feldern sah er weiteres Vieh über grüne Hügel ziehen. Die Stimmen von Männern, seinen Männern, die für ihn arbeiteten, drangen durchs Fenster an sein Ohr. Aus dem Milchhaus tönte das stete «Bumm, Bumm» eines Butterfasses, das von dem beschränkten Mädchen Eliza Stoughton bedient wurde. Jesses Gedanken schweiften zurück zu den Männern in den Tagen des Alten Testaments, die ebenfalls Land und Herden besessen hatten. Er erinnerte sich, wie Gott vom Himmel herabgestiegen war und zu diesen Männern gesprochen hatte, und er wollte, dass Gott auch ihn wahrnahm und zu ihm sprach. Ein gewisser fiebriger, knabenhafter Eifer ergriff von ihm Besitz, in seinem Leben die Essenz der Bedeutsamkeit zu erreichen, die über diesen Männern geschwebt hatte. Da er ein betfreudiger Mann war, sprach er davon laut zu Gott, und der Klang der eigenen Worte kräftigte und nährte seinen Eifer.
    «Ich bin ein Mann neuen Schlags und in den Besitz dieser Felder gelangt», erklärte er. «Schau auf mich, o Gott, und schau Du auch auf meine Nachbarn und alle Männer, die vor mir hier gewesen sind! O Gott, erschaffe in mir einen anderen Jesse, einen wie in alter Zeit, auf dass ich über Menschen herrsche und Vater von Söhnen werde, die Herrscher sein werden!» Jesse
wurde erregt, wie er so laut sprach, und er sprang auf und schritt im Zimmer auf und ab. Im Geiste sah er sich in alter Zeit und unter alten Völkern leben. Das Land, das sich vor ihm erstreckte, erlangte unermessliche Bedeutung, wurde zu einem Ort, von seiner Phantasie mit einer neuen Menschenrasse bevölkert, die ihm selbst entsprungen war. Ihm schien, dass in seiner

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