Winesburg, Ohio (German Edition)
ging es darin zu wie in einem Bienenstock. Erst war noch alles still, dann öffneten sich nach und nach Türen, Füße trappelten auf Stufen, Gemurmel leiser Stimmen erhob sich, und aus Dutzenden dunkler Ecken erschienen Leute.
Außer den schon erwähnten Alten lebten noch viele andere im Bentley-Haus. Es gab vier Knechte, eine
Frau namens Tante Callie Beebe, die die Hauswirtschaft besorgte, ein beschränktes Mädchen namens Eliza Stoughton, das die Betten machte und beim Melken half, einen Jungen, der in den Ställen arbeitete, und Jesse Bentley selbst, den Besitzer und Oberherrn von allem.
Zwanzig Jahre nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg hatte jener Teil des nördlichen Ohio, in dem die Bentley-Farm lag, das Pionierleben größtenteils hinter sich gelassen. Jesse besaß nun schon Maschinen für die Getreideernte. Er hatte moderne Scheunen gebaut, und sein Land war in weiten Teilen mittels sorgfältig verlegter Ziegelröhren entwässert, doch um den Mann zu verstehen, müssen wir zurückgehen in frühere Tage.
Schon vor Jesses Zeit hatte die Familie Bentley über mehrere Generationen im nördlichen Ohio gelebt. Sie waren aus dem Staat New York gekommen und nahmen sich Land, als das Gebiet noch neu und Land zu einem geringen Preis zu haben war. Lange waren sie, wie alle anderen im Mittleren Westen, sehr arm. Das Land, auf dem sie siedelten, war dicht bewaldet und mit umgestürzten Bäumen und Unterholz bedeckt. Nach der langen, mühevollen Arbeit, alles wegzuräumen und das Holz zu sägen, war man noch immer nicht vor Stümpfen sicher. Pflüge, die durch die Felder gezogen wurden, verhakten sich in verborgenen Wurzeln, überall lagen Steine, in den Senken sammelte sich Wasser, und der junge Mais wurde gelb, schließlich krank und ging ein.
Als Jesse Bentleys Vater und Brüder in den Besitz des Geländes kamen, war der schwierigste Teil der
Rodungsarbeit schon weitgehend geleistet, doch sie klammerten sich an die alten Traditionen und arbeiteten wie getriebene Tiere. Sie lebten wie praktisch alle Farmleute jener Zeit. Im Frühjahr und die meiste Zeit des Winters hindurch waren die Landstraßen, die in die Stadt Winesburg hineinführten, ein einziges Meer aus Schlamm. Die vier jungen Männer der Familie arbeiteten den ganzen Tag hart auf den Feldern, sie aßen tüchtig grobes, fettiges Essen, und nachts schliefen sie wie müdes Vieh auf Strohlagern. In ihr Leben gelangte wenig, das nicht grob und brutal war, und nach außen hin waren auch sie selbst grob und brutal. Samstagnachmittags schirrten sie ein Pferdegespann an einen dreisitzigen Wagen und fuhren in die Stadt. In der Stadt standen sie in den Geschäften am Ofen und unterhielten sich mit anderen Farmern oder dem Ladenbesitzer. Sie trugen Overalls und im Winter schwere Mäntel, die mit Schlamm bedeckt waren. Ihre Hände waren, wie sie sie in die Hitze der Öfen hielten, rissig und rot. Das Reden fiel ihnen schwer, und so schwiegen sie die meiste Zeit. Wenn sie Fleisch, Mehl, Zucker und Salz gekauft hatten, gingen sie in einen der Saloons von Winesburg und tranken Bier. Unter dessen Einfluss wurden die naturgemäß starken Gelüste ihres Wesens freigesetzt, die sonst von der heldenhaften Arbeit, neues Land urbar zu machen, unterdrückt waren. Eine Art derbe, animalische, poetische Inbrunst bemächtigte sich ihrer. Auf der Heimfahrt stellten sie sich auf die Wagensitze und brüllten zu den Sternen hinauf. Manchmal kämpften sie lange und erbittert, dann wiederum stimmten sie Lieder an. Einmal schlug Enoch Bentley, der ältere der
Jungen, seinen Vater, den alten Tom Bentley, mit einem Peitschengriff, und danach sah es aus, als sollte der alte Mann sterben. Tagelang lag Enoch verborgen im Stroh auf dem Dachboden des Stalls, bereit zur Flucht, sollte das Ergebnis seiner aufgeflammten Leidenschaft sich als Mord erweisen. Am Leben gehalten wurde er von Essen, das ihm seine Mutter brachte, die ihn auch über den Zustand des Verletzten auf dem Laufenden hielt. Als alles gut wurde, kam er aus seinem Versteck hervor und machte sich wieder ans Roden, als wäre nichts geschehen.
Der Bürgerkrieg bedeutete für die Geschicke der Bentleys eine scharfe Wendung und war verantwortlich für den Aufstieg des jüngsten Sohnes Jesse. Enoch, Edward, Harry und Will Bentley meldeten sich allesamt freiwillig, und am Ende des langen Krieges waren sie alle gefallen. Nachdem sie in den Süden gegangen waren, versuchte der alte Tom eine Zeit lang, den Hof zu führen, doch ohne
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