Winesburg, Ohio (German Edition)
zerstören.»
Wash Williams begann, von der Geschichte seines Ehelebens mit der großen blonden jungen Frau mit den blauen Augen zu erzählen, die er als junger Telegraphist in Dayton, Ohio, kennengelernt hatte. Hier und da gab es in seiner Geschichte Momente der Schönheit, in die sich Serien übler Flüche mischten. Der Telegraphist hatte die Tochter eines Zahnarztes geheiratet, die jüngste von drei Schwestern. Am Tag der Hochzeit wurde er wegen seiner Fähigkeiten bei erhöhtem Gehalt zum Disponenten befördert und an ein Amt in Columbus, Ohio, versetzt. Dort ließ er sich mit seiner
jungen Frau nieder und kaufte auf Ratenzahlung ein Haus.
Der junge Telegraphist war wahnsinnig verliebt. Mit einer Art religiöser Inbrunst hatte er es geschafft, die Fallstricke seiner Jugend zu umgehen und bis zu seiner Heirat unberührt zu bleiben. Er zeichnete George Willard ein Bild seines Lebens mit seiner jungen Frau in dem Haus in Columbus, Ohio. «Im Garten hinter unserem Haus pflanzten wir Gemüse an», sagte er, «weißt schon, Erbsen und Mais und dergleichen. Wir zogen Anfang März nach Columbus, und sobald die Tage warm wurden, machte ich mich im Garten zu schaffen. Mit dem Spaten grub ich die schwarze Erde um, während sie lachend umhersprang und so tat, als fürchtete sie sich vor den Würmern, die dabei zum Vorschein kamen. Ende April wurde gepflanzt. Auf den kleinen Wegen zwischen den Saatbeeten stand sie, eine Papiertüte in der Hand. Die Tüte war voller Samen. Sie reichte mir jeweils ein paar davon, damit ich sie in die warme, weiche Erde setzte.»
Einen Moment lang stockte die Stimme des Mannes, der da im Dunkeln sprach. «Ich habe sie geliebt», sagte er. «Ich behaupte nicht, kein Dummkopf zu sein. Ich liebe sie noch immer. Dort in der Dämmerung im Frühling kroch ich abends über die schwarze Erde zu ihren Füßen und kauerte vor ihr. Ich küsste ihr die Schuhe und die Knöchel über den Schuhen. Als der Saum ihres Kleids mich am Gesicht streifte, zitterte ich. Als ich nach zwei Jahren jenes Lebens herausfand, dass sie es geschafft hatte, sich drei weitere Liebhaber zuzulegen, die regelmäßig in unser Haus kamen, wenn
ich bei der Arbeit war, wollte ich weder diese noch sie anrühren. Ich schickte sie einfach heim zu ihrer Mutter und sagte nichts. Es gab auch nichts zu sagen. Ich hatte vierhundert Dollar auf der Bank, die gab ich ihr. Ich fragte sie nicht nach Gründen. Ich sagte gar nichts. Als sie weg war, heulte ich wie ein dummer Junge. Schon bald hatte ich die Gelegenheit, das Haus zu verkaufen, und auch dieses Geld schickte ich ihr.»
Wash Williams und George Willard erhoben sich von dem Stapel Eisenbahnschwellen und gingen die Gleise entlang zur Stadt. Der Telegraphist beendete seine Geschichte schnell, atemlos.
«Ihre Mutter schickte nach mir», sagte er. «Sie schrieb mir einen Brief, in dem sie mich bat, zu ihnen nach Dayton zu kommen. Als ich dort ankam, war es Abend, ungefähr um diese Zeit.»
Wash Williams’ Stimme erhob sich fast zu einem Schreien. «Zwei Stunden lang habe ich im Salon dieses Hauses gesessen. Ihre Mutter führte mich hinein und ließ mich dort sitzen. Ihr Haus war elegant. Sie waren ehrbare Leute, wie es so heißt. In dem Zimmer standen feudale Sessel und ein Sofa. Ich zitterte am ganzen Leib. Ich hasste die Männer, die ihr, wie ich glaubte, Unrecht getan hatten. Ich hatte es satt, allein zu leben, und wollte sie zurückhaben. Je länger ich wartete, desto wunder und empfindlicher wurde ich. Ich dachte, wenn sie hereinkäme und mich einfach nur mit der Hand berührte, fiele ich womöglich in Ohnmacht. Ich sehnte mich danach, zu vergeben und zu vergessen.»
Wash Williams blieb stehen und starrte George Willard an. Der Junge zitterte, als fröstelte es ihn. Wieder
wurde die Stimme des Mannes weich und leise. «Sie kam nackt ins Zimmer», fuhr er fort. «Ihre Mutter betrieb das. Während ich dasaß, zog sie das Mädchen aus, verleitete sie vielleicht dazu. Erst hörte ich Stimmen an der Tür, die auf einen kleinen Flur führte, dann ging sie sachte auf. Das Mädchen schämte sich und stand vollkommen reglos da, den Blick auf den Boden gerichtet. Die Mutter kam nicht ins Zimmer. Nachdem sie das Mädchen zur Tür hereingestoßen hatte, stand sie im Flur und wartete in der Hoffnung, wir würden – na, du weißt schon – wartete eben.»
George Willard und der Telegraphist erreichten die Hauptstraße von Winesburg. Die Lichter der Schaufenster lagen hell leuchtend auf den
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