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Winslow, Don

Winslow, Don

Titel: Winslow, Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tage der Toten
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Augen
zuteil wird. Aber sie grüßt nicht und fängt kein Gespräch an - auch zu
freundliche Leute erregen Verdacht.
    »Ihre Papiere«, sagt der Posten.
    Sie zeigt ihm den kalifornischen Führerschein, ihr Pass liegt gut sichtbar
auf dem Beifahrersitz.
    »Was war der Zweck Ihrer Reise, Ms. Hayden?«
    »Ich bin übers Wochenende runtergefahren«, sagt sie. »Sie wissen schon.
Sonne, Strand, ein paar Cocktails.«
    »Wo haben Sie übernachtet?«
    »Hotel Rosarita.« Die Quittung mit der Nummer ihrer Visa Card hat sie in
der Handtasche.
    Der Posten nickt. »Weiß das Hotel, dass Sie die Handtücher mitgenommen
haben?«
    »Oops!«
    »Führen Sie irgendwelche Wertgegenstände ein?«
    »Nur das Zeug hier«, sagt sie.
    Der Posten mustert die Sachen, die sie eben gekauft hat.
    Jetzt kommt der kritische Moment. Entweder, er winkt sie durch, oder er
beäugt das Auto ein bisschen gründlicher, oder er winkt sie hinaus auf die
Kontrollspur. Option eins und zwei sind annehmbar, Option drei könnte zur
Katastrophe führen, und Raúl hält den Atem an, als sich der Posten durchs
Fenster beugt und die Rückbank inspiziert.
    Nora lächelt nur und wippt mit dem Fuß, im Takt mit dem Classic-Rock aus
dem Autoradio.
    Der Posten richtet sich wieder auf.
    »Drogen?«
    »Wie bitte?«
    Der Posten
lächelt. »Gute Fahrt, Ms. Hayden.«
    »Sie ist
durch«, atmet Raúl auf. Der Autozerleger muss dringend auf die Toilette. »Freu dich nicht zu
früh«, brüllt ihm Raúl nach. »In San Onofre kommt die nächste Kontrolle.«
     
    Das Telefon auf
Kellers Schreibtisch klingelt. »Keller.«
    »Sie ist
durch.«
    Keller lässt sich das Auto beschreiben, das Kennzeichen durchgeben. Dann
ruft er den Kontrollpunkt San Onofre an.
     
    Adán
Barrera bekommt einen ähnlichen Anruf. »Sie ist
durch«, verkündet ihm Raúl.
    Er ist erleichtert, aber noch ist es nicht ausgestanden. Erst muss sie
auch den amerikanischen Kontrollpunkt durchlaufen, der auf einem einsamen
Streckenabschnitt des Freeway 5 liegt, ein wenig nördlich vom Marinestützpunkt Pendieton und voller
Überwachungskameras und Abhörtechnik. Wenn die DEA zuschlägt,
dann dort, weit weg von den Beobachtungsposten der Barreras. Es kann durchaus
sein, dass Nora geradewegs in eine Falle fährt.
     
    Nora fährt nordwärts auf der 5, der großen Nord-Süd-Achse, die ganz Kalifornien durchläuft. Vorbei an San
Diego, dem Flughafen, dem Meeresmuseum, dem großen Mormonentempel im
Zuckerbäckerstil, dann passiert sie die Abfahrt nach La Jolla, die Rennstrecke
von Del Mar, das Zentrum von Oceanside und hält schließlich an einer Raststätte
südlich des Marinestützpunkts Pendieton.
    Sie steigt aus und schließt den Wagen ab. Die in der Nähe parkenden Sicarios der Barreras
sieht sie nicht, aber sie weiß, sie sind da, sitzen irgendwo in einem oder in
mehreren Autos, um den Geldtransport zu bewachen, während sie die Toilette benutzt,
obwohl kaum jemand auf die Idee kommen wird, einen gebrauchten Toyota Camry zu
stehlen.
    Die Toilettenfrau wartet geduldig, während sie sich das Gesicht wäscht
und ihr Make-up auffrischt. Nora bedankt sich mit einem Dollar Trinkgeld, geht
hinaus zum Pepsi-Automaten, holt sich eine Diät-Pepsi, steigt wieder ins Auto
und fährt los, weiter Richtung Norden. Sie liebt diesen Teil der Strecke, denn
wenn die Kasernen vorüber sind, gibt es nichts mehr zu sehen außer den kahlen
Hügeln rechts und links, den zwei Fahrbahnen und dem blauen Ozean.
    Den Kontrollpunkt San Onofre hat sie schon Hunderte Male passiert, so wie
die meisten Südkalifornier, wenn sie von San Diego nach Orange County fahren.
Der war immer schon ein Witz, denkt sie, während der Verkehr vor ihr langsamer
wird, ein Grenzkontrollpunkt, siebzig Meilen von der Grenze entfernt. Aber
Tatsache ist, dass es die meisten Illegalen in den Großraum Los Angeles zieht
und dass sie überwiegend den Freeway 5 benutzen - vielleicht ist das der Grund.
    Normalerweise bremst man ab, wenn der Kontrollpunkt kommt, und wenn man
hellhäutig genug ist, winkt einen der Posten mit einer gelangweilten Handbewegung
durch. So wird es auch diesmal sein, denkt sie, als noch ein Dutzend Autos vor
ihr sind.
    Nur dass es diesmal anders kommt. Der Posten stoppt ihr Auto.
     
    Keller schaut auf die Uhr - zum wiederholten Mal. Jetzt müsste es so weit
sein. Er weiß, wann sie die Grenze überquert hat, wann sie an der Raststätte
war. Wenn sie nicht irgendwo abgebogen ist, wenn ihr nicht die Nerven
durchgegangen sind, wenn ... wenn ...

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