Winslow, Don
Barrera eine Kugel in den Kopf.
»Nur damit du weißt, dass dein Leben dran hängt«, sagt Raúl.
Er weiß nicht, wohin das Auto fährt, er weiß nicht, wer drinsitzt, aber es
ist schon sehr ungewöhnlich, dass Geld nach Norden statt nach Süden
transportiert wird. Der unauffällige kleine Toyota Camry ist vollgestopft mit
Millionen amerikanischen Dollars - gut versteckt in diversen Hohlräumen.
Hoffentlich kommt keiner auf die Idee, das Ding auf die Waage zu stellen, denkt
er.
Nora denkt dasselbe. Eine optische Überprüfung macht ihr keine Sorgen,
auch nicht die Hunde, weil die auf das Aufspüren von Drogen abgerichtet sind,
nicht auf das Aufspüren von Geld. Trotzdem wurden die Geldbündel in
Zitronensaft getränkt, um den Geruch zu neutralisieren. Und das Auto selbst ist
nie für Drogentransporte benutzt worden, es gibt also auch keine Restspuren.
Nur Reste von Sand, sorgsam verstreut auf Beifahrerseite und Rückbank,
dazu nasse Handtücher, ein Kapuzenshirt und ein Paar alte Strandlatschen.
Das Warten an der Grenze dauert heute grausame anderthalb Stunden. Aber Adán hat auf dem
späten Sonntagnachmittag bestanden, wenn der Übergang von Tausenden
Amerikanern verstopft ist, die von einem billigen Wochenende in den mexikanischen
Seebädern Ensenada und Rosarita zurückkommen. Sie hat also reichlich Zeit, auf
die dritte Spur zu wechseln, wo gleich ein Kontrollposten seinen Dienst
antritt, der auf der Gehaltsliste der Barreras steht.
Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Raúl steht am
Fenster der Wohnung und beobachtet alles mit dem Feldstecher. Es gibt drei
Wohntürme direkt hinter dem Grenzübergang, und alle drei gehören den Barreras.
Jetzt verfolgt Raúl, wie der bestochene Grenzbeamte seinen Platz einnimmt und zum Wohnturm hinüberblickt.
Und tippt Zahlen in seinen Pager.
Schon piepst Noras Pager, sie blickt auf das Display und sieht die Zahl
666 - der Code für »alles in Ordnung«. Sie nickt dem Fahrer des Ford Explorer
zu, der vor ihr steht und sie ihm Rückspiegel sieht. Der fährt darauf nach
rechts hinüber, in die dritte Spur und blockiert sie, so dass Nora in den
Zwischenraum hineinfahren kann. Der Jeep Cherokee hinter ihr macht dasselbe,
ein Hupkonzert und gereckte Mittelfinger sind die Folge, aber Nora muss einfach
auf die dritte Spur kommen.
Und jetzt muss sie einfach nur warten und Scharen von Straßenhändlern
abwehren, die an den Autoschlangen auf und ab laufen und Strohhüte feilbieten, milagros, Plastik-Puzzles
mit der Landkarte von Mexiko, Getränke, Tacos,
Burritos, T-Shirts, Basecaps und allen
erdenklichen Krempel. Der Platz vor dem Kontrollpunkt ist ein einziger
Trödelmarkt, und Nora kauft einen billigen Sombrero, einen Poncho und ein
bedrucktes T-Shirt - einerseits, um ihre Tarnung als Touristin zu
vervollkommnen, andererseits, weil sie Mitleid mit den Händlern hat, unter
denen viele Kinder sind.
Noch drei Autos sind vor ihr, als Raúl erneut durchs Fernglas sieht und »Scheiße!«
schreit.
Der Autozerleger springt auf. »Was ist?«
»Die wechseln die Leute aus!«
Raúl verfolgt, was
dort vor sich geht. Ein Grenzoffizier verteilt die Posten um. Das ist übliche
Praxis, aber dass es gerade jetzt passiert, kann kaum Zufall sein.
»Haben sie Lunte gerochen?«, fragt der Autozerleger. »Wollen wir
abbrechen?«
»Zu spät«, sagt Raúl. »Jetzt kommt sie nicht mehr raus.«
Der Autozerleger fängt an zu schwitzen.
Nora sieht ebenfalls, dass die Posten ausgewechselt werden. Bitte, lieber
Gott, nicht ausgerechnet jetzt, fleht sie, ihr Herz rast, und sie atmet tief
durch, um sich zu beruhigen. Die Posten sind darauf trainiert, Anzeichen von
Angst zu erkennen, sagt sie sich und will nichts weiter sein als eine Blondine
auf dem Heimweg von einem heißen Party-Wochenende in Mexiko.
Der Ford Explorer rückt jetzt vor zur Kontrolle, »rappelvoll mit Chicanos«,
wie Fabián meinte, und ebenfalls Teil des Plans. Der Posten wird lange brauchen, um
alle zu kontrollieren, und Nora vielleicht umso schneller durchwinken.
Tatsächlich: Er stellt eine Unmenge Fragen, beäugt den Ford von allen Seiten,
schaut in die Fenster, prüft die Papiere. Der Golden Retriever entwischt aus
dem Auto, dreht ausgelassen eine Runde und wedelt mit dem Schwanz.
Gut, dass es so lange dauert, denkt Nora, das ist Teil des Plans. Aber
auch nervenaufreibend.
Endlich darf der Ford weiterfahren, und Nora rückt auf. Sie schiebt die
Sonnenbrille hoch, damit dem Posten die ganze Strahlkraft ihrer blauen
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