Winslow, Don
Neffen in Tijuana einnisten sollen.
Wie Kuckuckseier.
Sie sollen langsam wachsen, an Macht und Einfluss gewinnen, um dann Gúero aus dem Nest zu
werfen. Und Gúero ist sowieso selten in der Stadt. Er versucht, die Region von seiner Ranch
aus zu kontrollieren, überlässt das Tagesgeschäft seinen treuesten
Untergebenen, Juan Esparagoza und Tito Mical zum Beispiel.
Und Adán und Raúl Barrera.
Tío hat den
Vorschlag gemacht, dass sich Adán und Raúl bei den Sprösslingen der besseren Gesellschaft von
Tijuana beliebt machen sollen. »Hängt euch rein in diese Freundschaften, macht
euch unentbehrlich, damit Sie euch nicht wegmobben können, ohne sich ins eigene
Fleisch zu schneiden.« Macht es langsam, macht es behutsam, damit Gúero nichts davon
merkt, aber macht es.
»Fangt mit den Kindern an«, hat er geraten. »Die Alten tun alles, wenn es
um den Schutz ihrer Kinder geht.«
Also haben Adán und Raúl eine Charme-Offensive gestartet. Haben sich teuer eingekauft in das
Reichenviertel Colonia
Hipódromo, und plötzlich sieht man sie überall.
Wohin man auch kommt, trifft man auf Raúl Barrera. Geht man in den Club, ist Raúl schon da und
übernimmt die Rechnung. Fährt man an den Strand, ist Raúl schon dort und
übt mit einem Karate. Will man sich beim Pferderennen amüsieren, ist Raúl schon da und
setzt gerade Unsummen auf hochriskante Wetten. Geht man in die Disco, ersäuft Raúl den ganzen
Laden in Dom Pérignon. Er schart eine treue Gefolgschaft um sich, die neunzehn- und zwanzigjährigen
Söhne von Bankern, Anwälten, Ärzten und Regierungsbeamten. Es dauert nicht
lange, und sie treffen sich regelmäßig unter der großen alten Eiche. Parken
ihre Autos an der Mauer und quatschen Blödsinn mit Raúl.
Die Eiche heißt einfach nur el arbol, der Baum, und jeder, der mitreden will, treibt sich dort rum.
Auch Fabián
Martínez.
Fabián ist der
typische Mädchenschwarm.
Aber er sieht nicht aus wie sein Namensvetter, ein abgehalfterter
Schlagersänger, sondern wie ein junger, hispanischer Tony Curtis. Fabián ist ein
hübscher Junge, und er weiß es. Er hört es seit seinem sechsten Lebensjahr, und
jeder Blick in den Spiegel kann es ihm bestätigen. Er ist hochgewachsen, hat
einen kupferfarbenen Teint und einen breiten, sinnlichen Mund. Sein üppiges
schwarzes Haar trägt er glatt zurückgekämmt. Seine Zähne sind - nach
langjähriger, teurer Gebisskorrektur - strahlend weiß, und sein Lächeln ist
verführerisch.
Er weiß es und macht eifrig Gebrauch davon.
Eines Abends, als Fabián mit den anderen abhängt, hört er einen sagen: »Wie
wär's, wenn wir mal einen umlegen?«
Fabián wechselt einen
Blick mit seinem Kumpel Alejandro.
Das ist einfach nur cool.
Könnte direkt von Scarface sein.
Dabei sieht Raúl Barrera gar nicht aus wie Al Pacino. Raúl ist groß und athletisch gebaut, mit massigen
breiten Schultern und einer Halsmuskulatur, wie man sie vom Karate-Training
kriegt. Heute trägt er eine Lederjacke und eine Basecap von den San Diego Padres. Sein Schmuck
allerdings, der könnte von Al Pacino sein. Raúl ist behängt wie
ein Weihnachtsbaum - dicke Goldketten am Hals und am Handgelenk: die
unvermeidliche goldene Rolex.
Eigentlich, denkt Fabián, sieht Rauls großer Bruder eher wie Al Pacino aus, aber da hört die Ähnlichkeit mit Scarface auch schon auf. Fabián hat Adán Barrera erst ein paarmal getroffen - in einem Nachtclub mit Ramón, bei einem
Boxkampf und dann im El Big, dem Hamburger-Lokal auf der Avenida Revolución. Adán sieht nicht aus wie ein Drogenbaron, eher wie ein Buchhalter. Kein
Nerzmantel, kein Schmuck, immer ruhig, mit leiser Stimme. Wenn man nicht auf
ihn aufmerksam gemacht wird, merkt man gar nicht, dass er da ist.
Raúl hingegen, der
ist nicht zu übersehen.
Steht an seinen knallroten Porsche Targa gelehnt und redet ganz locker
davon, jemanden umzulegen.
Irgendeinen.
»Habt ihr eine Rechnung offen?«, fragt Raúl. »Wen wollt ihr
weggepustet haben?«
Fabián und Alejandro wechseln wieder
einen Blick.
Sie sind cuates - Freunde - fast seit ihrer Geburt, mit nur wenigen Wochen Abstand sind sie
in derselben Klinik geboren - im Scripps Hospital von San Diego. Das war gegen
Ende der sechziger Jahre so üblich in der Oberschicht von Tijuana. Zur
Entbindung fuhr man über die Grenze nach San Diego, damit die Kinder in den
Genuss der doppelten Staatsbürgerschaft kamen. Daher sind Fabián, Alejandro und die meisten
ihrer cuates in den Staaten geboren, im schicken
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