Winter
»Sag mal, ist alles in Ordnung? Du siehst ziemlich gestresst aus.«
»Danke. Man hört doch immer gerne, dass man absolut blendend aussieht.«
Normalerweise war er derjenige, der lachte. Doch diesmal, als ich ihn durch eine witzige Bemerkung veräppeln wollte, schien er entschlossen ernst zu bleiben.
»Du bist doch wegen irgendwas total fertig.«
»Bist du der Schulpsychologe, oder was?«
Matthew schwang sich vom Pferd herunter, ohne richtig anzuhalten, was ziemlich beeindruckend war. Die Zügel in der Hand ging er jetzt neben mir und ließ mich nicht aus den Augen. Ich hatte vergessen, dass ich mir gewünscht hatte, ihm auf gleicher Ebene zu begegnen. Im Moment konnte ich nur daran denken, wie schrecklich ich aussehen musste.
Da ich aber irgendwas sagen musste, teilte ich ihm mit: »Ich habe Sylvia und Ralph gefeuert.«
Wahrscheinlich wollte ich vor allem die Zusicherung, dass ich das Richtige getan und keinen schrecklichen Fehler begangen und zwei in die Jahre kommende und treue Verwalter in den kalten Winter gejagt hatte. Außerdem, wer weiß, vielleicht gehörten Sylvia und Ralph ja zu den beliebtesten Leuten im Distrikt.
Matthew knickte kurz mit den Knien ein. Wirklich, er stolperte, wenn auch nur einen Moment lang. Dann nahm er sich zusammen. Ansatzweise.
»Du hast was?«
»Du hast schon richtig verstanden.«
»Du hast Sylvia und Ralph gefeuert?«
Ich erwiderte nichts.
»Ganz allein? Was denn, du bist zu ihnen hin und hast gesagt: ›Ihr seid gekündigt, haut ab‹?«
»Das hab ich dem Nachlassverwalter überlassen.«
»Das ist ja unglaublich. Wahnsinn, du bist ja völlig irre! Unlängst, als du im Busch auf mich losgegangen bist, da dachte ich schon: Jesus, dieses Mädchen steht unter Atomstrom. Ich hatte völlig Recht. Mann, du hast Sylvia und Ralph rausgeschmissen! Das ist die irrste Geschichte, die ich je gehört habe. Sie sind seit zehn Jahren hier. Du bist drei Tage hier und feuerst sie. Das muss ich meinem Vater erzählen.«
»Ich bin schon länger als drei Tage hier.«
»Na gut, dann eben vier.«
»Nein, das stimmt doch nicht. Es sind inzwischen zwei Wochen.«
Dann fingen wir beide zu lachen an. Plötzlich prusteten wir los und konnten uns gar nicht mehr einkriegen. Wir gingen immer noch, aber die nächsten hundert Meter lachten wir Tränen. Schließlich beruhigten wir uns wieder. Matthew nahm seinen Helm ab und wischte sich das Gesicht ab.
»Bin ich jetzt die unausstehlichste Zicke weit und breit?«, fragte ich. »Werden mich jetzt alle hassen?«
»Spinnst du? Weil du Sylvia und Ralph gefeuert hast? Das sind doch die größten Gauner, die mir je untergekommen sind. Sie haben Warriewood vom ersten Tag an ausgeraubt. Dass du sie entlassen hast, wird dir kein Mensch übel nehmen. Im Gegenteil, du wirst stehende Ovationen bekommen.«
Jetzt war ich an der Reihe, mit den Knien einzuknicken. Die Erleichterung traf mich mit einer solchen Wucht, dass ich von Glück reden konnte, nicht hinzufallen. Auch wenn Mr Carruthers vom Gegenteil überzeugt schien, so wusste ich sehr wohl, was es hieß, jemanden zu entlassen. Noch dazu, wenn sie gleichzeitig ihr Dach über dem Kopf verloren. Im Italienischunterricht hatten wir den Film Der Holzschuhbaum gesehen. Ich wollte jedenfalls keiner dieser altmodischen Gutsbesitzer sein, die ihre Angestellten wie Figuren auf dem Monopolybrett behandeln.
»Hör mal«, sagte Matthew. »Du siehst aus, als würdest du jeden Moment zusammenklappen. Komm doch mit zu mir. Auf einen Kaffee oder so was. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es auf Warriewood jetzt besonders lustig zugeht, ich meine, solange Ralph und Sylvia da herumstreifen und nur darauf warten, dir mit dem Vorschlaghammer einen Keil zwischen die Augen zu treiben. Bis wann sollen sie fort sein?«
»Bis fünf Uhr«, sagte ich mit einem Blick auf meine Uhr.
»Was, heute noch? Mann, du machst wirklich keine halben Sachen. Mit dir würde ich mich nicht anlegen wollen. Zum Glück vertragen wir uns so gut.«
Jetzt wurde ich rot. Wenn ich daran dachte, wie ich mit Matthew umgesprungen war, wäre ich vor Scham am liebsten im Erdboden versunken.
»Ich glaube, das geht nicht, ich meine, dass ich zu dir komme. Ich bin bei den McGills zum Abendessen eingeladen.«
»Um wie viel Uhr?«
»Er hat gesagt, er würde mich um halb sieben abholen.«
»Da hast du noch jede Menge Zeit. Und mal ehrlich, bei uns bist du besser aufgehoben, jedenfalls so lange, bis Sylvia und Ralph in ihrem brandneuen Range Rover in den Sonnenuntergang gefahren
Weitere Kostenlose Bücher