Winter
schaffst das in nicht einmal vierzehn Tagen. Wie alt bist du?«
»Sechzehn.«
»Fantastisch. Als ich sechzehn war, hielt ich es mit meinem Meerschweinchen: bei Gefahr ab in den Bau und Mund halten! Mein Gott, noch ein Jahr und du bist unsere nächste Regierungschefin. Möchtest du Kaffee? Du ernährst dich
wahrscheinlich von Rum und Milch.«
»Kaffee wäre fein«, sagte ich. Ich mochte ihn auf Anhieb, nur
werde ich eher scheu bei Leuten, die so aus sich herausgehen. »Erzähl mal, wie du der bösen Sylvia auf die Schliche
gekommen bist. Du hast im Keller die Druckerpresse entdeckt,
stimmt’s? Und sie hat lastwagenweise Hundertdollarscheine
ausgespuckt? Oder haben sie im Heuschober Luxuslimousinen
neu lackiert?«
»Ralph hat auf halber Strecke zum Aussichtspunkt eine große
Fläche Busch abgeholzt«, sagte ich. »Ein Kumpel von ihm war
auch dabei. Sie haben das Holz auf einen Sattelschlepper
verladen.«
»Tatsächlich? Meine Herren, die müssen gedacht haben, sie
können sich alles leisten. Ralph hat einmal eine Zeit lang für mich gearbeitet, das ist Jahre her, lange bevor er und Sylvia den Job auf Warriewood bekamen. Jedes Mal, wenn ich von einer Geschäftsreise zurückkam, hatte der Mercedes 500 Kilometer mehr auf dem Kilometerstand. Er muss für seine Kumpel ein Taxi-Service betrieben haben. Das Hirn bei ihren Gaunereien ist aber Sylvia. Ralph ist nicht clever genug. Gehört eher zur Sorte Spatzenhirn. Man soll zwar nicht schlecht über die Toten und Ausgewanderten sprechen, aber
diese beiden waren Bonnie und Clyde von Christie.« Er schenkte mir Kaffee ein.
»Das mit deinem Holz ist schlimm. Hier passen wir auf
unseren Busch auf. Viel ist ohnehin nicht mehr übrig. Wenn du
möchtest, komme ich demnächst zu dir und wir schauen uns
das gemeinsam an. Mal sehen, ob wir den Bestand
regenerieren können.«
»Danke«, sagte ich. »Darüber wäre ich froh.«
»Das ist wohl das Mindeste, was ich für die Tochter von
Phillip und Phyllis tun kann.«
»Kannten Sie sie gut?«
»O ja. Und ich mochte sie sehr. Sie waren was Besonderes.
Nachbarn aus der Hall of Farne.«
»Stimmt es, dass meine Mutter bei einem Schießunfall
gestorben ist?«
»Ja.«
Seine gute Laune schien plötzlich wieder umzuschlagen,
denn ganz wie vorhin, als ich ihm von der Abholzung des
Buschs erzählte, wurde sein Blick wieder besorgt.
»Wie konnte das passieren?«
»Nun, einer ihrer Hunde stieß ein geladenes Gewehr um. Ich
weiß nicht, ob es gesichert war, aber Sicherungen sind auch
nur mechanische Vorrichtungen und in Wirklichkeit nicht
zuverlässig.«
»Deshalb hat mir mein Dad schon hundert Mal gesagt, erst
dann eine Kugel ins Magazin zu legen, wenn ich auch wirklich
vorhabe zu schießen«, warf Matthew ein und schob einen
Teller mit Schokokeksen in meine Richtung. »Als Grund nennt
er immer den Unfall deiner Mutter.«
»Aber wie konnte sie so gedankenlos sein?«, fragte ich.
»Noch dazu mit ihrer Erfahrung.«
Mr Kennedy schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ehrlich
nicht. Ich habe mir diese Frage oft selbst gestellt. Ich kann es
mir nur so erklären, dass sie durch Phillips Tod so verzweifelt
war, so außer sich, dass sie zu keinem vernünftigen Gedanken
mehr fähig war.«
»Sie war also nach all den Monaten immer noch so traurig?« »Ja, beinahe noch trauriger als zu dem Zeitpunkt, als man sie
benachrichtigt hat. Zuerst sagte sie immer wieder, sie könne es
akzeptieren, weil Phillip bei einer seiner
Lieblingsbeschäftigungen gestorben sei, dass er sich
gewünscht hätte, so zu sterben. Nicht, dass er sterben wollte.
Er war so voller Lebensfreude, wie man es selten erlebt. Aber
du weißt, was ich meine. Es dürfte ihr jedenfalls erst mit der
Zeit richtig bewusst geworden sein, was sein Tod bedeutete.
Den Verlust seiner Freundschaft, des Gefährten in ihrem
Leben. Das Ende ihrer Beziehung. Kein Vater mehr für ihre
kleine Tochter. Das Alleinsein fing an ihr zuzusetzen. Es kann
also sein, dass sie unkonzentriert war.«
»War ich dabei, als es passierte? Ich meine, an Ort und
Stelle?«
»Ehrlich gesagt, das weiß ich nicht. Ich glaube aber nicht,
denn das wäre mir zu Ohren gekommen. Du weißt ja, wie die
Leute sind. Es hätte eine Menge Gerede darüber gegeben, wie
schrecklich, die kleine Tochter musste alles mit ansehen…« Er unterbrach sich und sah mich beunruhigt an. Offenbar war
er in Sorge, er könnte mir zu viel zumuten. Aber ich war ruhig.
Ich wollte die Wahrheit wissen, das war das Wichtigste. »Denken Sie, dass sie damals so
Weitere Kostenlose Bücher