Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
Señorita.« Er hätte sie genauso gut zu einem Spaziergang bei Mondlicht einladen können.
Lloyd lächelte. Er freute sich für Lenny. Ihm selbst war nicht nach Flirten zumute, während Lenny sich bereits verliebt zu haben schien. Doch Lloyd schätzte Lennys Chancen nicht sehr hoch ein. Eine schöne, gebildete Frau wie Teresa bekam vermutlich ein Dutzend Heiratsanträge am Tag, und Lenny war ein siebzehnjähriger Bergarbeiter, der sich seit einem Monat nicht gewaschen hatte. Außerdem schien Teresa durchaus in der Lage zu sein, auf sich selbst aufzupassen.
Ein Mann kam auf Lloyd zu. Er war besser gekleidet als die Soldaten, und in seinem Holster steckte ein schwerer Revolver russischer Bauart. Der Mann kam Lloyd irgendwie bekannt vor. Sein Haar war stoppelkurz geschnitten, wie es eigentlich nur die Russen bevorzugten, und er war ungefähr in Lloyds Alter. Er war nur Leutnant, strahlte aber Autorität, sogar Macht aus. In fließendem Deutsch fragte er: »Können Sie mir helfen? Ich suche nach Teniente Garcia.«
»Er ist nicht hier«, antwortete Lloyd, ebenfalls auf Deutsch. »Sagen Sie mal, kennen wir uns?«
Der Russe wirkte erschrocken und verärgert zugleich, als hätte er gerade eine Schlange in seinem Schlafsack entdeckt. »Nein«, antwortete er im Brustton der Überzeugung. »Wir haben uns noch nie gesehen. Sie müssen sich irren.«
Lloyd schnippte mit den Fingern. »Berlin«, sagte er. »1933. Wir hatten eine Schlägerei mit SA -Leuten.«
Ganz kurz erschien ein Ausdruck der Erleichterung auf dem Gesicht des Mannes, als hätte er mit Schlimmerem gerechnet. »Ja, das war ich«, sagte er. »Wladimir Peschkow.«
»Wir haben dich damals Wolodja genannt, stimmt’s?«
»Stimmt.«
»Bei der Schlägerei warst du mit einem Jungen zusammen. Wie hieß er noch mal? Werner Franck, nicht wahr?«
Kurz flackerte Panik in Wolodjas Augen auf, doch er hatte sich rasch wieder unter Kontrolle. »Ich kenne keinen Franck.«
Lloyd beschloss, es dabei bewenden zu lassen. Er konnte sichdenken, warum Wolodja so nervös war. Die Russen hatten genauso viel Angst vor ihrer Geheimpolizei, dem NKWD , wie alle anderen auch. Und in den Augen des NKWD war jeder, der mit einem Ausländer befreundet war, ein potenzieller Verräter.
»Ich bin Lloyd Williams.«
»Ja, ich erinnere mich.« Wolodja schaute ihn mit seinen durchdringenden blauen Augen an. »Schon seltsam, dass wir uns ausgerechnet hier wiedersehen.«
»Eigentlich nicht«, erwiderte Lloyd. »Wir bekämpfen die Faschisten, wann und wo wir können.«
»Kann ich mal unter vier Augen mit dir sprechen?«
»Sicher.«
Sie gingen ein paar Schritt von den anderen weg. Dann raunte Wolodja ihm zu: »Es gibt einen Spion in Garcias Zug.«
Lloyd riss erstaunt die Augen auf. »Einen Spion? Wer?«
»Einen Deutschen mit Namen Heinz Bauer.«
»Das ist der da drüben in dem roten Hemd«, sagte Lloyd. »Er soll ein Spion sein? Bist du sicher?«
Wolodja machte sich gar nicht erst die Mühe, darauf zu antworten. »Ich würde ihn gerne in eurem Bau befragen, wenn ihr einen habt, oder irgendwo anders, wo wir allein sind.« Er schaute auf seine Armbanduhr. »In einer Stunde wird ihn ein Verhaftungskommando abholen.«
»Ich benutze den Verschlag da drüben als Büro.« Lloyd deutete auf den alten Stall. »Aber zuerst muss ich mit meinem vorgesetzten Offizier reden.« Der Offizier war zwar Kommunist und würde sich deshalb vermutlich heraushalten, aber Lloyd brauchte Zeit zum Nachdenken.
»Wie du willst.« Wolodja war es offensichtlich egal, was Lloyds vorgesetzter Offizier dachte. »Hauptsache, der Spion wird ohne großes Aufsehen verhaftet. Ich habe auch dem Verhaftungskommando deutlich gemacht, wie wichtig Diskretion ist.« Wolodja schien nicht sicher zu sein, dass die NKWD -Leute sich an seine Anweisungen hielten. »Je weniger Leute davon erfahren, desto besser.«
»Warum?«, fragte Lloyd. Doch ehe Wolodja etwas erwidern konnte, fand er die Antwort selbst. »Ihr hofft, ihr könnt ihn zum Doppelagenten machen, stimmt’s? Über ihn wollt ihr dem FeindFehlinformationen zukommen lassen. Und wenn zu viele Leute wissen, dass er gefasst worden ist, könnten andere Spione die Rebellen warnen.«
»Über solche Dinge sollte man lieber nicht spekulieren«, entgegnete Wolodja ernst. »Lass uns jetzt zu deinem Unterstand gehen.«
»Einen Moment noch«, sagte Lloyd. »Woher wisst ihr eigentlich, dass der Mann ein Spion ist?«
»Das ist geheim.«
»Hm … Das ist eine ziemliche unbefriedigende
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