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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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erstklassig.«
    »Sie sind unweiblich. Eine junge Dame spricht nicht so offen über Vagina und Penis.«
    »Was soll das? Ich habe doch nur Ihre Frage beantwortet.«
    »Wie mir scheint, sind Sie in zweifelhaften Verhältnissen aufgewachsen, wenn sie männliche Verwandte nackt gesehen haben.«
    »Glauben Sie etwa, alte Leute bekommen die Windeln von Männern gewechselt? Ich würde Sie gern mal dabei sehen.«
    »Und vor allem sind Sie vorlaut und zeigen keinerlei Respekt.«
    »Sie haben mir doch diese provozierenden Fragen gestellt. Hätte ich verlegen darauf reagiert, hätten Sie gesagt, ich wäre nicht resolut genug für eine Ärztin. Ist es nicht so?«
    Bayer verschlug es für einen Moment die Sprache, und Carla erkannte, dass sie den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.
    »Sie haben meine Zeit verschwendet!«, sagte sie zornig und ging zur Tür.
    »Heiraten Sie«, rief der Professor ihr hinterher. »Gebären Sie Kinder für den Führer. Das ist Ihr Platz im Leben. Erfüllen Sie Ihre vaterländische Pflicht.«
    Carla ging hinaus und knallte die Tür zu.
    Frieda sprang besorgt auf. »Was ist?«
    Wortlos ging Carla zum Ausgang. Aus dem Augenwinkel sah sie die Sekretärin grinsen. Offenbar wusste die Frau, was passiert war. Carla blieb kurz stehen, wandte sich ihr zu und sagte: »Sie können sich ruhig das dumme Grinsen schenken. Sie vertrocknete alte Hexe.« Zufrieden sah sie, wie die Frau schockiert die Augen aufriss.
    Als sie draußen waren, sagte Carla enttäuscht: »Er hatte nie die Absicht, mich für ein Stipendium zu empfehlen. Und das nur, weil ich eine Frau bin. Meine Qualifikationen haben gar keine Rolle gespielt. Ich habe die ganze Arbeit für nichts gemacht!« Sie brach in Tränen aus.
    Als Frieda sie tröstend in die Arme schloss, fühlte sie sich ein bisschen besser. »Und ich werde keine Kinder für den verdammten Führer großziehen«, sagte sie und zog die Nase hoch.
    »Was?«
    »Lass uns nach Hause fahren, dann erzähle ich dir alles.« Die Mädchen stiegen auf ihre Fahrräder.
    Auf den Straßen herrschte eine seltsame Atmosphäre, doch Carla war so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie sich keine Gedanken darüber machte. Die Menschen versammelten sich um die Lautsprecher, über die manchmal Hitlers Reden aus der Krolloper übertragen wurden, die seit dem Reichstagsbrand als Parlamentsgebäude diente.
    Als die Mädchen im Stadthaus der von Ulrichs eintrafen, saßen Maud und Walter still in der Küche, neben sich das Radio, und lauschten konzentriert.
    »Sie haben mich abgelehnt«, verkündete Carla. »Egal, was die Statuten sagen, sie wollen einem Mädchen kein Stipendium geben.«
    »Oh, Carla, das tut mir leid«, sagte Maud, doch sie schien nicht richtig bei der Sache zu sein.
    »Was läuft denn so Wichtiges im Radio?«, fragte Carla verwundert.
    »Hast du es denn noch nicht gehört?«, erwiderte Maud. »Wir sind heute Morgen in Polen einmarschiert. Wir haben Krieg.«

    Obwohl die Londoner Saison vorüber war, hatten die Spitzen der Gesellschaft wegen der Krise noch nicht die Stadt verlassen. Das Parlament machte zu dieser Jahreszeit normalerweise Ferien, doch es war eigens einberufen worden. Dennoch fanden keine Partys statt, keine königlichen Empfänge, keine Bälle. Man kam sich beinahe vor wie in einem Badeort im Februar, fand Daisy. Heute war Samstag, und sie machte sich bereit für ein Abendessen im Haus ihres Schwiegervaters, Earl Fitzherbert. Was konnte langweiliger sein?
    In einem Abendkleid aus nilgrüner Seide mit V-Ausschnitt und Faltenrock saß sie vor der Frisierkommode. Im Haar trug sie Seidenblumen, um den Hals hing ein Vermögen an Brillanten.
    Boy, ihr Mann, machte sich in seinem Ankleidezimmer fertig. Daisy freute sich, dass er wenigstens heute bei ihr war; er verbrachte viele Abende außer Haus. Obwohl sie in Mayfair wohnten, sahen sie sich manchmal tagelang nicht.
    Daisy hielt einen Brief in der Hand, den ihre Mutter ihr aus Buffalo geschrieben hatte. Olga Peshkov war nicht entgangen, dass ihre Tochter keine glückliche Ehe führte. In ihren Briefen nach Hause hatte Daisy unbewusst Andeutungen gemacht. Doch Olga meinte es gut. Ich möchte bloß, schrieb sie, dass Du glücklich bist. Eines Tages wirst Du Countess Fitzherbert sein, und wenn Du einen Sohn bekommst, wird er der nächste Earl. Ich glaube, Du würdest es bereuen, wenn Du das alles wegwirfst, nur weil Dein Mann Dir nicht genügend Aufmerksamkeit schenkt.
    Vielleicht hatte sie recht. Seit fast drei Jahren sprachen

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