Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
werden ließ. Zuerst verkniff sie sich eine Antwort, fragte sich dann aber, weshalb sie eigentlich schweigen sollte. »Du weißtja, was die Fußballer sagen«, erwiderte sie. »Wer ein Tor schießen will, muss auch mal den Ball treten.«
Diesmal lief Boy rot an. »Was fällt dir ein!«
Andy lachte. »Das hast du dir selbst zuzuschreiben, Bruderherz.«
»Hört sofort auf damit«, sagte Bea. »Ich erwarte von meinen Söhnen, dass sie sich solche abscheulichen Bemerkungen sparen, bis die Damen außer Hörweite sind.« Damit rauschte sie aus dem Zimmer.
Daisy folgte ihr, trennte sich an der Treppe aber von den anderen Damen und ging nach oben. Sie war noch immer wütend und wollte allein sein. Wie konnte Boy ihr so etwas an den Kopf werfen? Glaubte er wirklich, es sei ihr Fehler, dass sie nicht schwanger wurde? Es konnte genauso gut an ihm selbst liegen. Aber vielleicht wusste er das ja und versuchte deshalb, ihr die Schuld zuzuschieben, weil er befürchtete, die Leute könnten ihn für zeugungsunfähig halten. Aber das war keine Entschuldigung dafür, sie öffentlich bloßzustellen.
Sie ging zu Boys altem Zimmer. Nach ihrer Hochzeit hatten sie dort drei Monate lang gewohnt, während ihr neues Haus eingerichtet worden war. Sie hatten das Zimmer und den Schlafraum daneben für sich gehabt. Damals hatten sie noch jede Nacht miteinander geschlafen.
Daisy betrat das Zimmer und schaltete das Licht an. Zu ihrem Erstaunen stellte sie fest, dass Boy noch immer nicht aus der kleinen Wohnung ausgezogen war: Auf dem Waschtisch lag ein Rasiermesser, auf dem Nachttisch eine Ausgabe eines Fliegermagazins. Daisy öffnete eine Schublade und fand eine Dose Leonard’s Liver-Aid, ein Aufbaumittel, das Boy jeden Morgen vor dem Frühstück einnahm. Übernachtete er hier, wenn er sich zu sehr betrunken hatte, um ihr unter die Augen zu treten?
Die untere Schublade war abgeschlossen, aber Daisy wusste, dass er einen Schlüssel in einem Topf auf dem Kaminsims aufbewahrte. Sie hatte keine Skrupel, diesen Schlüssel zu benutzen; schließlich sollte ein Mann keine Geheimnisse vor seiner Ehefrau haben. Daisy öffnete die Schublade.
Als Erstes entdeckte sie ein Buch mit Fotos nackter Frauen. Auf Aktgemälden und -fotografien posierten die Frauen im Allgemeinen so, dass sie ihren Intimbereich zumindest teilweise bedeckten, doch auf diesen Fotos war es schockierend anders: Die Frauen hatten die Beine weit gespreizt, hielten die Pobacken auseinander, ja, sogar die Scham war geöffnet, sodass man Einblick in ihr Inneres bekam. Wäre in diesem Moment jemand ins Zimmer gekommen, hätte Daisy sich schockiert gezeigt, aber in Wirklichkeit war sie gebannt. Fasziniert blätterte sie das ganze Buch durch und verglich die Frauen mit sich selbst: die Größe und Form ihrer Brüste, die Hüften, die Beine, die Scham. Welch wunderbare Vielfalt gab es doch bei Frauenkörpern!
Einige Mädchen stimulierten sich auf den Fotos selbst oder gaben es zumindest vor; andere waren als lesbische Paare fotografiert und erregten einander gegenseitig. Daisy überraschte es kein bisschen, dass Männer sich so etwas gern anschauten.
Sie kam sich vor, als würde sie heimlich an einer Tür lauschen. Kurz musste sie daran denken, wie sie in Boys Zimmer auf Tŷ Gwyn gegangen war, noch vor ihrer Hochzeit, vom sehnlichen Wunsch getrieben, mehr über den Mann zu erfahren, den sie liebte, und eine Möglichkeit zu finden, ihn an sich zu binden. Und was tat sie jetzt? Sie spionierte einem Mann nach, der sie offenbar nicht mehr liebte, und versuchte zu verstehen, wo sie versagt hatte.
Unter dem Buch lag eine braune Papiertüte. Darin steckten mehrere kleine quadratische Papierkuverts, die rot bedruckt waren. Daisy las:
“Prentif”
REG. TRADE MARK
SERVISPAK
WICHTIG
Lassen Sie weder Kuvert
noch Inhalt an öffentlichen Orten
zurück, da sie Anstoß erregen könnten.
BRITISCHES PRODUKT
LATEXGUMMI
WIDERSTEHT JEDEM KLIMA
Das alles war völlig unverständlich für Daisy. Nirgendwo stand, was diese Päckchen eigentlich enthielten. Neugierig öffnete sie eines davon.
Sie entdeckte ein Stück Gummi und zog es auseinander. Es war wie ein Rohr geformt und am einen Ende verschlossen. Daisy brauchte ein paar Sekunden, bis sie begriff, um was es sich handelte.
Gesehen hatte sie so etwas noch nie, aber sie hatte gehört, wie die Leute darüber redeten. Amerikaner nannten es einen Trojaner, die Briten einen Überzieher. Offiziell hieß es Kondom und diente zur
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