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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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deutschen Regierung eine letzte Note übergeben, in der wir den Deutschen erklären, dass zwischen uns der Kriegszustand herrscht, falls der britischen Regierung bis elf Uhr nicht Deutschlands Bereitschaft zugesichert wird, seine Truppen unverzüglich aus Polen zurückzuziehen.«
    Lloyd merkte, wie unzufrieden er mit Chamberlains Wortwahl war. Dass zwischen uns der Kriegszustand herrscht – was für eine seltsame Ausdrucksweise. Na los, weiter, dachte er; komm endlich auf den Punkt. Hier geht es um Leben und Tod.
    Chamberlains Stimme wurde tiefer, getragener. Vielleicht blickte er nicht mehr auf das Mikrofon, sondern sah Millionen seiner Landsleute vor ihren Radios sitzen und auf seine schicksalhaften Worte warten. »Ich muss Ihnen mitteilen, dass wir keine solche Zusicherung erhalten haben …«
    Lloyd hörte seine Mutter sagen: »Gott steh uns bei!« Er schaute sie an. Sie war grau im Gesicht.
    Chamberlain sprach die nächsten, schrecklichen Worte sehr langsam aus. »… und unser Land sich infolgedessen mit dem Großdeutschen Reich im Kriegszustand befindet.«
    Ethel brach in Tränen aus.

Z WEITER T EIL
    Z EIT DES B LUTES

K A P I T E L  6
    1940 (I)
    Aberowen hatte sich verändert. Auf den Straßen fuhren Autos, Lastwagen und Busse. Als Lloyd in den Zwanzigerjahren als Kind hierhergekommen war, um seine Großeltern zu besuchen, war ein geparkter Pkw noch eine aufsehenerregende Rarität gewesen, die eine Menschenmenge angelockt hatte.
    Noch immer wurde die Stadt vom Zwillingsturm der Förderanlage mit ihren sich majestätisch drehenden Seilscheiben beherrscht. Außer der Zeche gab es nichts in Aberowen: keine Fabriken, keine Bürohäuser, keine Industrie, nur die Kohleförderung. Fast jeder zweite Mann in der Stadt arbeitete in der Grube. Nur ein paar Dutzend Ausnahmen gab es: Ladenbesitzer, Geistliche der verschiedenen Glaubensrichtungen, einen Stadtschreiber und einen Arzt. Sobald der Bedarf an Kohle einbrach, wie es Anfang der Dreißigerjahre der Fall gewesen war, wurden die Kumpel entlassen und fanden keine andere Beschäftigung. Deshalb gehörte zu den am leidenschaftlichsten vorgebrachten Forderungen der Labour Party die Hilfe für die Erwerbslosen, damit solche Männer nie wieder den Schmerz und die Demütigung ertragen mussten, ihre Familien nicht ernähren zu können.
    Lieutenant Lloyd Williams traf an einem Sonntag im April 1940 von Cardiff kommend mit dem Zug ein. In der Hand einen kleinen Koffer, stieg er den Hügel nach Tŷ Gwyn hinauf. Acht Monate lang hatte er Rekruten ausgebildet – wie schon in Spanien – und die Boxmannschaft der Welsh Rifles trainiert. Nun hatte die Army ihn aufgrund der Tatsache, dass er fließend Deutsch sprach, für eine nachrichtendienstliche Verwendung vorgesehen und auf eine Schulung geschickt.
    Ausbildung betreiben, mehr hatte die Army bislang nicht getan. Britische Verbände hatten noch in keinem nennenswerten Ausmaßgegen den Feind gekämpft. Das Großdeutsche Reich und die UdSSR hatten Polen überrannt und zwischen sich aufgeteilt, und die alliierte Garantie für die polnische Unabhängigkeit hatte sich als wertlos erwiesen.
    Die Briten nannten es den »Sitzkrieg« und warteten ungeduldig darauf, sich von ihren vier Buchstaben erheben zu können. Lloyd hegte keine sentimentalen Illusionen, was Kriegführung anging – auf den spanischen Schlachtfeldern hatte er die sterbenden Verwundeten erbärmlich um Wasser betteln hören –, aber er konnte es nicht erwarten, dass endlich die letzte Abrechnung mit dem Faschismus begann.
    Das britische Heer sollte mehr Kräfte nach Frankreich verlegen, da man annahm, der deutsche Angriff stehe bevor. Noch war nichts geschehen, doch die Divisionen blieben in Alarmbereitschaft und betrieben verschärft Ausbildung.
    Lloyds Einführung in die geheimnisvolle Welt der militärischen Nachrichtendienste sollte auf dem stattlichen Landsitz erfolgen, der in der Geschichte seiner Familie so oft eine Rolle gespielt hatte. Die reichen, adligen Eigentümer vieler solcher Anwesen hatten sie den Streitkräften zur Verfügung gestellt – vielleicht aus Angst, sie könnten sonst dauerhaft enteignet werden.
    Die Army hatte Tŷ Gwyn ein anderes Aussehen verliehen. Auf dem Rasen parkten ein Dutzend olivgrüne Fahrzeuge. Ihre Reifen hatten Furchen in den üppigen grünen Rasen des Anwesens gegraben. Der schmucke Vorhof am Eingang mit seinen gebogenen Granittreppen war zum Nachschublager geworden, und wo einst juwelengeschmückte Damen und

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