Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
Mauern als Haushälterin gearbeitet hat«, erklärte Lowther.
»Ich weiß«, sagte Daisy. »Er hat es mir vor langer Zeit auf dem Trinity Ball erzählt. Damals hat er mich für meinen Snobismus getadelt. Ich muss leider sagen, dass er ganz recht hatte.«
»Sie sind sehr nachsichtig, Lady Aberowen.« Lloyd war dieSzene peinlich. »Ich weiß nicht, wie ich dazu gekommen bin, so etwas zu Ihnen zu sagen.« Daisy wirkte nicht mehr so spröde wie in seiner Erinnerung; vielleicht war sie reifer geworden.
»Ach, schon gut«, antwortete Daisy und wandte sich Major Lowther zu. »Heute ist Mr. Williams’ Mutter Parlamentsabgeordnete.«
Lowthie war sichtlich beeindruckt.
»Wie geht es Ihrer jüdischen Freundin Eva?«, fragte Lloyd. »Ich weiß noch, dass sie Jimmy Murray geheiratet hat.«
»Ja. Sie haben zwei Kinder.«
»Hat sie ihre Eltern aus Deutschland herausholen können?«
»Leider nicht. Die Rothmanns haben keine Ausreisevisa bekommen.«
»Das tut mir leid. Es muss die Hölle für sie sein.«
»Allerdings.«
Lowther hatte offenbar nicht die Geduld, sich ein Gespräch über Hausmädchen und Juden anzuhören. »Um auf das zurückzukommen, was ich vorhin gesagt habe, Lady Aberowen …«, begann er und warf Lloyd einen auffordernden Blick zu.
Lloyd verstand. »Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht«, sagte er, verließ die Halle und stieg die Treppe hinauf.
Als er im Bett lag, ertappte er sich dabei, wie er leise das letzte Kirchenlied aus dem Gottesdienst sang:
Ein Fels in Sturm und Mitternacht,
den keiner kann bezwingen:
Die Liebe ist des Himmels Macht.
Drum will ich allzeit singen.
Drei Tage später beendete Daisy ein Schreiben an ihren Halbbruder Greg. Bei Kriegsausbruch hatte er ihr einen besorgten Brief geschickt; seitdem korrespondierten sie etwa einmal im Monat. Greg hatte ihr berichtet, wie er seiner alten Flamme Jacky Jakes auf der E Street in Washington begegnet war, und Daisy gefragt, was ein Mädchen dazu bringen könne, auf diese Weise die Flucht zu ergreifen. Daisy wusste keine Antwort.
Sie blickte auf die Uhr. Noch eine Stunde bis zum Abendessen für die Schulungsteilnehmer. Das bedeutete, dass der Unterricht zu Ende war, sodass sie eine gute Chance hatte, Lloyd in seinem Zimmer anzutreffen.
Daisy ging hinauf zu den alten Dienstbotenunterkünften im Dachgeschoss. Die jungen Offiziere saßen oder lagen auf ihren Betten und vertrieben sich die Zeit mit Lesen oder Briefeschreiben. Daisy traf Lloyd in einem kleinen Zimmer mit einem alten Drehspiegel an. Er saß am Fenster und las konzentriert in einem bebilderten Buch.
»Interessante Lektüre?«, fragte Daisy.
Lloyd sprang auf. »Oh … was für eine Überraschung.«
Er lief rot an. Vermutlich war er noch immer in sie verknallt. Sicher, es war grausam von ihr gewesen, sich von ihm küssen zu lassen, ohne die Absicht zu haben, die Beziehung fortzusetzen, aber das war nun vier Jahre her, und sie beide waren damals noch sehr jung gewesen. Mittlerweile war Lloyd bestimmt darüber hinweggekommen.
Daisy blickte auf das Buch, in dem er las. Es war in deutscher Sprache und mit farbigen Abbildungen von Uniformen und Insignien versehen.
»Wir müssen uns mit den deutschen Abzeichen auskennen«, erklärte Lloyd, als er Daisys Blicke bemerkte. »Militärische Aufklärung beruht zu einem großen Teil auf dem Verhör von Kriegsgefangenen unmittelbar nach ihrer Ergreifung. Einige reden natürlich nicht, und dann müssen wir allein an der Uniform erkennen, welchen Rang ein Gefangener hat und welcher Einheit er angehört, ob Infanterie, Kavallerie, Artillerie, der Panzertruppe oder einer Spezialeinheit.«
»Das lernen Sie hier?«, fragte Daisy skeptisch. »Die Bedeutung deutscher Abzeichen?«
Lloyd lachte. »Wir lernen schon noch ein bisschen mehr. Nur darf ich Ihnen nicht alles erzählen, ohne Geheimnisverrat zu begehen.«
»Oh, ich verstehe.«
»Wieso sind Sie in Wales? Ich bin überrascht, dass Sie keinen Beitrag zu den Kriegsanstrengungen leisten.«
Daisy seufzte. »Geht das schon wieder los mit Ihrer unablässigen Kritik? Halten Sie das für die richtige Methode, die Aufmerksamkeit einer Frau zu gewinnen?«
»Verzeihen Sie«, erwiderte Lloyd steif. »Es war nicht meine Absicht, Ihnen Vorwürfe zu machen.«
»Außerdem gibt es keine Kriegsanstrengungen. Nur Sperrballons, die in der Luft schweben, um deutsche Flugzeuge zu behindern, die nie kommen.«
»Aber in London hatten Sie wenigstens ein gesellschaftliches Leben, nicht wahr?«
»Das war
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