Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
befrackte Herren aus ihren Kutschen gestiegen waren, stapelten sich jetzt Dosen mit gebackenen Bohnen und Schmalz. Lloyd grinste. Ihm gefiel die Wirkung des Krieges als großer Gleichmacher.
Als er das Haus betrat, empfing ihn ein rundlicher Offizier in einer zerknitterten, fleckigen Uniform. »Für den Nachrichtenkurs hier, Lieutenant?«
»Jawohl, Sir. Mein Name ist Lloyd Williams.«
»Ich bin Major Lowther.«
Lloyd hatte von dem Mann gehört. Er war der Marquess von Lowther, seinen Freunden als »Lowthie« bekannt.
Lloyd blickte sich um. Die Gemälde an den Wänden waren mitgroßen Staubschutztüchern verhängt. Die Kamine aus behauenem Marmor hatte man mit rohen Brettern verkleidet, die nur eine kleine Öffnung für einen Rost freiließen. Die dunklen alten Möbelstücke, von denen seine Mutter manchmal mit großer Liebe sprach, waren Stahlschreibtischen und billigen Sesseln gewichen. »Meine Güte, hat sich das Haus verändert«, sagte er.
Lowther lächelte. »Sie sind also schon hier gewesen. Kennen Sie die Familie?«
»Ich war mit Boy Fitzherbert in Cambridge. Dort habe ich auch die Viscountess kennengelernt, allerdings waren sie damals noch nicht verheiratet. Ich nehme an, sie sind für die Dauer des Krieges ausgezogen, Sir?«
»Nicht ganz. Ein paar Zimmer sind für ihren privaten Gebrauch reserviert. Aber sie stören uns in keiner Weise. Sie waren also Gast hier?«
»Nein, so gut kenne ich die Fitzherberts nicht. Ich bin mal als Junge herumgeführt worden, als die Familie nicht im Haus war. Meine Mutter hat früher hier gearbeitet.«
»Tatsächlich? Was hat sie gemacht? Hat sie sich um die Bibliothek des Earls gekümmert?«
»Nein, sie war Haushälterin.« Kaum hatte Lloyd die Worte ausgesprochen, wurde ihm klar, dass er einen Fehler begangen hatte.
Lowthers Gesicht nahm einen Ausdruck der Missbilligung an. »Ich verstehe«, sagte er. »Höchst interessant.«
Lloyd wusste, dass er soeben in die Schublade des proletarischen Emporkömmlings gesteckt worden war. Während seiner Zeit auf Tŷ Gwyn würde er nun als Offizier zweiter Klasse behandelt werden. Er hätte über die Vergangenheit seiner Mutter schweigen sollen; er wusste schließlich genau, wie snobistisch die Army sein konnte.
»Zeigen Sie dem Lieutenant sein Zimmer, Sergeant«, befahl Lowther einem Unteroffizier. »Dachgeschoss.«
Lloyd wurde ein Raum in den ehemaligen Dienstbotenquartieren zugewiesen, aber das störte ihn nicht allzu sehr. Für seine Mutter war das schließlich auch gut genug gewesen.
Als sie die Hintertreppe hinaufstiegen, sagte der Sergeant zu Lloyd: »Bis zum Abendessen haben Sie keine Verpflichtungen mehr, Sir. Sie können sich in Ruhe einrichten.«
»Danke«, erwiderte Lloyd. »Wissen Sie, ob einer der Fitzherberts im Haus ist?«
»Tut mir leid, Sir, davon ist mir nichts bekannt«, antwortete der Unteroffizier.
Lloyd benötigte nur zwei Minuten zum Auspacken. Er kämmte sich, zog ein frisches Uniformhemd an und verließ das Anwesen, um seine Großeltern zu besuchen.
Das Haus auf der Wellington Row erschien ihm kleiner und trister denn je, obwohl es in der Spülküche jetzt heißes Wasser gab und im Toilettenhäuschen ein Wasserklosett installiert worden war. Das Dekor hatte sich allerdings nicht verändert, soweit Lloyd sich erinnern konnte: Der gleiche Flickenteppich auf dem Fußboden, die gleichen verblassten Paisley-Vorhänge, die gleichen harten Eichenstühle in dem einen Raum im Erdgeschoss, der als Wohnzimmer und Küche zugleich diente.
Lloyds Großeltern allerdings hatten sich verändert. Beide waren nun um die siebzig und sahen gebrechlich aus. Grandah litt unter ständigen Schmerzen in den Beinen und hatte widerstrebend seine Stelle bei der Bergarbeitergewerkschaft aufgegeben, die ihm den Namen »Dai Union« eingetragen hatte. Grandmam hatte ein schwaches Herz; Dr. Mortimer hatte ihr geraten, nach den Mahlzeiten eine Viertelstunde die Beine hochzulegen.
Beide waren völlig aus dem Häuschen, als sie Lloyd in seiner Uniform sahen. »Lieutenant bist du, richtig?«, fragte Grandmam. Obwohl sie ihr Leben lang gegen Standesunterschiede und Dünkelhaftigkeit gekämpft hatte, konnte sie ihren Stolz nicht verbergen, dass ihr Enkel zum Offizier aufgestiegen war.
In Aberowen verbreiteten sich Nachrichten schnell, und die Neuigkeit, dass Dai Unions Enkel zu Besuch gekommen war, hatte wahrscheinlich schon die halbe Stadt erreicht, ehe Lloyd die erste Tasse mit dem starken Tee seiner Großmutter austrinken
Weitere Kostenlose Bücher