Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
für dich.«
»Das wird ein langweiliger Abend, aber ich komme nicht drum herum.«
»Es kann nicht halb so langweilig sein, wie hier ganz allein zu wohnen.«
»Das glaube ich dir. Aber in deinem Zustand bist du auf Tŷ Gwyn besser aufgehoben.«
Tausende hatten London nach der Kriegserklärung verlassen, aber die meisten waren nach und nach zurückgekehrt, als die befürchteten Bombardierungen und Giftgasangriffe durch die Deutschen ausblieben. Dennoch hatten Bea, May und sogar Eva einmütig erklärt, Daisy solle wegen ihrer Schwangerschaft lieber auf Tŷ Gwyn bleiben.
Tatsächlich störte es sie gar nicht so sehr, wie sie erwartet hatte. Vielleicht machte die Schwangerschaft sie träge. Andererseits prägte seit der Kriegserklärung eine gewisse Halbherzigkeit das gesellschaftliche Leben in London, als hätten die Menschen das Gefühl, kein Recht mehr auf Vergnügungen zu haben.
»Wenn ich nur mein Motorrad hier hätte«, sagte Daisy. »Dann könnte ich Wales erkunden.« Benzin war zwar rationiert, aber nicht allzu streng.
»Komm bloß nicht auf diese Idee, Daisy!«, sagte Boy. »Du darfst nicht Motorrad fahren, der Arzt hat es dir streng verboten.«
»Schon gut. Zum Glück habe ich die Literatur entdeckt. Die Bibliothek hier ist großartig. Ein paar seltene und wertvolle Ausgaben hat man in Sicherheit gebracht, aber sonst stehen noch fast alle Bücher in den Regalen. Jetzt bekomme ich endlich die Bildung, der ich auf der Schule so mühsam aus dem Weg gegangen bin.«
»Das freut mich zu hören. Dann nimm dir einen Krimi und genieße den Abend.«
»Ich fürchte, daraus wird nichts. Ich hatte vorhin leichte Bauchschmerzen.«
»Wahrscheinlich eine Verdauungsstörung.«
»Da wirst du recht haben.«
»Meine Empfehlungen an den dicken Lowthie.«
»Trink zum Abendessen nicht wieder so viel Portwein.«
Als Daisy auflegte, spürte sie erneut den krampfartigen Schmerz im Bauch. Diesmal hielt er länger an. Maisie kam herein, sah Daisys Gesicht und fragte besorgt: »Ist alles in Ordnung, Mylady?«
»Ja … nur ein Stechen.«
»Ich wollte Sie fragen, ob Sie jetzt zu Abend essen möchten.«
»Danke, ich habe keinen Hunger. Ich glaube, heute lasse ich das Abendessen aus.«
»Aber ich habe Ihnen einen schönen Cottage Pie gemacht«, sagte Maisie mit leisem Vorwurf.
»Deck ihn ab und stell ihn in die Speisekammer. Ich esse ihn morgen.«
»Soll ich Ihnen eine schöne Tasse Tee machen?«
Nur um Maisie loszuwerden, sagte Daisy: »Ja, bitte.« Selbst nach vier Jahren mochte sie den starken englischen Tee mit Milch und Zucker nicht.
Der Schmerz verebbte, und Daisy setzte sich und schlug Die Mühle am Floss auf. Sie zwang sich, Maisies Tee zu trinken, und fühlte sich danach tatsächlich ein bisschen besser. Als Daisy ausgetrunken hatte, schickte sie Maisie nach Hause. Dem Dienstmädchen stand eine Meile Fußmarsch im Dunkeln bevor, aber es hatte eine Taschenlampe dabei und sagte, es mache ihr nichts aus.
Eine Stunde später kamen die Schmerzen wieder, und diesmal ließen sie nicht nach. Daisy ging auf die Toilette, in der Hoffnung, den Druck in ihrem Unterleib lösen zu können. Zu ihrer Bestürzung entdeckte sie dunkelrote Blutflecken in ihrer Unterwäsche.
Sie zog sich ein sauberes Höschen an, ging besorgt zum Telefon, ließ sich die Nummer der Luftwaffenbasis St. Athan geben und rief dort an. »Ich muss unbedingt Flight Lieutenant Viscount Aberowen sprechen«, sagte sie.
»Tut mir leid, wir können keine Privatgespräche zu Offizieren durchstellen«, erwiderte ein pedantisch klingender Waliser.
»Es ist ein Notfall«, drängte Daisy. »Ich muss mit meinem Mann sprechen!«
»In den Zimmern gibt es keine Fernsprecher, wir sind hier nicht im Dorchester.« Vielleicht bildete Daisy es sich nur ein, aber der Mann klang irgendwie zufrieden, dass er ihr nicht helfen konnte.
»Mein Mann nimmt an dem Offiziersbankett teil«, sagte sie. »Bitte schicken Sie eine Ordonnanz und lassen Sie ihn ans Telefon holen.«
»Ich habe keine Ordonnanz. Außerdem gibt es hier kein Bankett.«
»Kein Bankett?« Für einen Augenblick wusste Daisy nicht, was sie sagen sollte.
»Nein. Nur das übliche Abendessen im Kasino«, sagte der Mann. »Und das ist seit einer Stunde vorbei.«
Daisy knallte den Hörer auf die Gabel. Kein Offiziersbankett? Boy hatte doch ausdrücklich gesagt, dass er an einem Offiziersbankett im Stützpunkt teilnahm. Offenbar hatte er sie belogen. Am liebsten hätte sie laut geweint. Er war ihr absichtlich
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