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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Kleidung, in Ordnung?«
    Daisy nickte.
    Wieder verschwand Lloyd. Wo hatte er gelernt, so selbstständig zu handeln? Im Spanischen Bürgerkrieg, nahm sie an. Lloyd war ihr schon immer reifer erschienen als für sein Alter üblich. Sie erinnerte sich, wie selbstbewusst er sich im Gaiety Theatre auf die Suche nach dem betrunkenen Boy gemacht hatte.
    Sie hörte, wie er in der Küche hantierte. Dann kam er mit zwei Tassen Tee ins Zimmer. »Wahrscheinlich hassen Sie das Zeug, aber danach fühlen Sie sich besser.« Daisy nahm den Tee. Lloyd zeigte ihr zwei weiße Tabletten, die in seiner Handfläche lagen. »Aspirin? Vielleicht lösen sie ein wenig die Magenkrämpfe.«
    Daisy nickte und schluckte die Tabletten mit heißem Tee. Bald darauf fühlte sie sich schläfrig. »Ich muss nur mal kurz die Augen schließen«, sagte sie. »Bleiben Sie hier, falls ich einschlafe?«
    »Ich bleibe so lange, wie Sie möchten«, erwiderte Lloyd. Er fügte noch etwas hinzu, doch Daisy hörte ihn nur noch wie aus weiter Ferne.
    Augenblicke später war sie eingeschlafen.

    Von nun an verbrachte Lloyd seine Abende in der kleinen Wohnung der Haushälterin. Er freute sich den ganzen Tag darauf.
    Ein paar Minuten nach acht, nach dem Abendessen im Kasino, wenn Daisys Dienstmädchen nach Hause aufgebrochen war, ging er nach unten. Oft saßen sie einander in den beiden alten Sesseln gegenüber. Lloyd brachte jedes Mal ein Buch mit, das er durcharbeiten musste – die Schulungsteilnehmer hatten immer »Hausaufgaben« und Prüfungen am Morgen –, während Daisy in einem Roman las. Die meiste Zeit jedoch unterhielten sie sich, berichteten, was sie tagsüber erlebt hatten, diskutierten über ihre Lektüre und erzählten einander die Geschichten ihres Lebens.
    Lloyd schilderte seine Erlebnisse in der Schlacht auf der Cable Street. »Wir standen friedlich zusammen und wurden von berittener Polizei attackiert, die uns als ›Judenpack‹ beschimpfte. Sie prügelten uns mit Schlagstöcken und drängten uns in Schaufensterscheiben.«
    Daisy hatte mit den Faschisten stundenlang in den Tower Gardens gewartet und nichts von den Kämpfen mitbekommen. »Es wurde aber ganz anders darüber berichtet«, sagte sie verwundert. »Die Zeitungen schrieben von einem Aufruhr in den Straßen, den linke Schlägerbanden und militante Gewerkschafter organisiert hätten.«
    Lloyd war nicht überrascht. »Meine Mutter hat kurz darauf die Wochenschau im Kino von Aldgate gesehen«, erinnerte er sich. »Die Polizei wurde für ihr umsichtiges Verhalten gelobt. Mam sagte, die Zuhörer wären vor Lachen beinahe geplatzt.«
    Die meisten britischen Zeitungen, erzählte Lloyd weiter, hätten die Berichte über die Gräueltaten von Francos Truppen in Spanien verschwiegen, die Übergriffe der Regierungsarmee jedoch umso deutlicher herausgestellt. Daisy wusste nichts von den Massenhinrichtungen, Vergewaltigungen und Plünderungen; sie hatte die Rebellen für gute Christen gehalten, die Spanien vor der Gefahr des Kommunismus bewahren wollten.
    Anscheinend war ihr nie der Gedanke gekommen, welche Macht Zeitungen besaßen. Je nachdem, welche politische Richtung ihre Herausgeber vertraten, konnten sie Neuigkeiten herunterspielen, die ein schlechtes Licht auf die konservative Regierung, das Militär oder die Geschäftswelt warfen, während sie gleichzeitig jedes Fehlverhalten eines Gewerkschafters oder der linken Parteien aufbauschten.
    Lloyd und Daisy sprachen in diesen Tagen oft über den Krieg, der unerbittlich seinen Fortgang nahm. Britische und französische Truppen waren in Norwegen gelandet und in erbitterte Kämpfe mit der deutschen Wehrmacht verwickelt. Die Zeitungen konnten dabei nicht völlig verschleiern, dass es für die Alliierten nicht zum Besten stand.
    Die Gespräche zwischen Daisy und Lloyd waren persönlich, aber körperlich hielten sie Abstand. Sie behandelten einander wie alte Freunde. Lloyd hatte nicht die Absicht, die Intimität auszunutzen, die in der Nacht, als Daisy ihre Fehlgeburt gehabt hatte, zwischen ihnen entstanden war, auch wenn ihm dieses Erlebnis für immer im Gedächtnis haften würde. Daisy das Blut von den Schenkeln und vom Bauch zu wischen war kein bisschen erotisch gewesen, aber ein Akt von unglaublicher Zärtlichkeit und intimer Nähe. Aber das änderte nichts daran, dass es ein medizinischerNotfall gewesen war, der Lloyd keinesfalls erlaubte, sich Daisy gegenüber irgendwelche Freiheiten herauszunehmen. Er hatte sogar Angst, sie zu berühren, um keinen

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