Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
hätten.«
»Vielleicht hatte der alte Earl eine Romanze mit einer meiner Ahnherrinnen. Wenn sie verheiratet war, hat sie das Kind vielleicht ihrem Ehemann untergeschoben.« Er lachte leise. »Du meine Güte, möglicherweise bin ich ein illegitimer Adelsspross. Ausgerechnet ich, ein eingefleischter Sozialist.«
»Sagen Sie mal, Lloyd, wie begriffsstutzig sind Sie eigentlich?«, fragte Daisy.
Er wusste nicht, worauf sie hinauswollte. »Ich verstehe nicht …«
»Ihre Mutter war Haushälterin auf Tŷ Gwyn. 1914 zieht sie plötzlich nach London und heiratet einen Mann namens Teddy, von dem niemand etwas weiß, außer dass er Williams heißt, genau wie sie, sodass Ihre Mutter nicht einmal ihren Namen ändern muss. Der geheimnisvolle Mr. Williams fällt, ehe jemand ihn kennenlernt. Von seiner Lebensversicherung kauft Ihre Mutter sich das Haus, in dem sie heute noch wohnt.«
»Ich verstehe immer noch nicht …«
»Dann, nach dem Tod von Mr. Williams, bringt sie einen Sohn zur Welt, der dem verstorbenen Earl Fitzherbert wie aus dem Gesicht geschnitten ist.«
Allmählich dämmerte es Lloyd, worauf Daisy hinauswollte. »Und weiter?«
»Ist Ihnen nie der Gedanke gekommen, dass es dafür eine ganz andere Erklärung geben könnte?«
»Bis jetzt nicht.«
»Was macht eine adlige Familie, wenn eine ihrer Töchter schwanger wird?«
»Keine Ahnung.«
»Das Mädchen verreist ein paar Monate lang – nach Schottland, in die Bretagne, nach Genf –, und nimmt sein Dienstmädchen mit.Wenn die beiden wiederkommen, hat das Dienstmädchen ein Baby, von dem es behauptet, es hätte es während der Reise zur Welt gebracht. Trotz ihres moralischen Fehltritts behandelt die Familie das Mädchen freundlich. Sie zahlen ihm eine kleine Rente und schicken es fort, damit es anderswo ein neues Leben beginnen kann.«
»Und Sie glauben, so war es auch bei meiner Mutter?«
»Ich glaube, dass Lady Maud Fitzherbert eine Liebesaffäre mit einem Gärtner, einem Bergmann oder einem charmanten Schurken aus London hatte und schwanger wurde. Sie ging fort, um das Kind heimlich zur Welt zu bringen. Ihre Mutter willigte ein, das Baby als ihr eigenes auszugeben. Zur Belohnung bekam sie ein Häuschen.«
Lloyd wurde nachdenklich. »Seltsam, aber jetzt, wo Sie es sagen … Meine Mutter ist mir immer ausgewichen, wenn ich sie nach meinem richtigen Vater gefragt habe.«
»Sehen Sie? Einen Teddy Williams hat es nie gegeben. Ihre Mutter hat nur behauptet, Witwe zu sein, um ihren guten Ruf zu wahren. Den erfundenen verstorbenen Mann hat sie Williams genannt, damit sie um eine Namensänderung herumkam.«
Lloyd schüttelte ungläubig den Kopf. »Das ist doch verrückt.«
»Keineswegs. Ihre Mutter und Maud blieben Freunde, und Maud hat geholfen, Sie großzuziehen. 1933 hat Ethel Sie nach Berlin mitgenommen, weil Ihre echte Mutter Sie wiedersehen wollte.«
»Sie glauben, ich bin Mauds Sohn?«, fragte Lloyd entgeistert.
Daisy tippte mit der Fingerspitze an den Rahmen des Bildes, das sie immer noch hielt. »Und Sie sehen genauso aus wie Ihr Großvater.«
Lloyd war fassungslos. Das konnte nicht wahr sein – und dennoch ergab es Sinn. »An den Gedanken, dass Bernie nicht mein richtiger Vater ist, bin ich ja gewöhnt, aber dass Ethel nicht meine Mutter sein soll …«
Daisy musste ihm seine Hilflosigkeit angesehen haben, denn sie beugte sich vor und nahm seine Hand – eine Geste, die sie sonst sorgfältig vermied. »Es tut mir leid, dass ich so unverblümt gesprochen habe. Aber Peels Reaktion, als er Sie vorhin gesehen hat, und dieses Foto, und das Verhalten Ihrer Mutter … es passt alles zusammen. Es war die ganze Zeit direkt vor Ihren Augen, aber Sie haben es nicht gesehen. Und da ist noch etwas. Wenn Peeldie Wahrheit ahnt, wird es noch andere Leute geben. Solch eine Neuigkeit hört man lieber von einer … von jemandem, mit dem man befreundet ist.«
Von oben aus dem Haus war ein Gong zu vernehmen. Lloyd sagte heiser: »Ich muss zum Mittagessen ins Kasino.« Er nahm das Foto aus dem Rahmen und steckte es in eine Tasche seiner Uniformjacke.
»Das macht Ihnen zu schaffen, nicht wahr?«, fragte Daisy.
»Nein … nein. Ich bin nur … überrascht.«
»Warum bestreitet ihr Männer immer, wenn euch etwas zu schaffen macht«, erwiderte Daisy lächelnd. »Bitte kommen Sie später noch einmal zu mir, ja?«
»Ist gut.«
»Gehen Sie nicht zu Bett, ohne noch einmal mit mir gesprochen zu haben.«
»In Ordnung.«
Lloyd ging nach oben in das große Speisezimmer,
Weitere Kostenlose Bücher