Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
falschen Eindruck zu erwecken, was sein Verhältnis zu ihr betraf.
Eines Abends erklärte Daisy, am nächsten Tag Peel besuchen zu wollen, den früheren Butler des Earls. Der alte Mann wohnte in einem Häuschen gleich hinter der Grundstücksgrenze. »Er ist achtzig«, sagte Daisy. »Fitz hat ihn sicher längst vergessen. Ich sollte mal nach ihm sehen.«
Als Lloyd überrascht die Augenbrauen hochzog, fügte sie hinzu: »Ich muss mich vergewissern, dass ihm nichts fehlt. Das ist meine Pflicht als Mitglied der Fitzherberts. Es gehört sich für reiche Familien, sich um ihre greisen Dienstboten zu kümmern, wussten Sie das nicht?«
»Es war mir entfallen.«
»Begleiten Sie mich?«
»Aber natürlich.«
Am nächsten Tag, einem Sonntag, machten sie sich morgens auf den Weg, weil Lloyd dann keinen Unterricht hatte. Beide waren entsetzt über den Zustand des kleinen Hauses. Die Farbe blätterte ab, die Tapeten lösten sich von den Wänden, die Vorhänge waren grau vom Kohlestaub. Der einzige Farbtupfer in dem tristen Einerlei war eine Reihe ausgeschnittener Illustriertenfotos, die Peel mit Reißzwecken an der Wand befestigt hatte; die Bilder zeigten den König und die Königin, Fitz und Bea und andere Aristokraten. Das Haus war jahrelang nicht anständig gereinigt worden und roch nach Urin, Asche und Verfall. Lloyd vermutete, dass so etwas nicht ungewöhnlich war für einen alten Mann mit schmaler Rente.
Peel hatte weiße Augenbrauen. Er blickte Lloyd verwirrt an und sagte erstaunt: »Guten Morgen, Mylord! Du meine Güte, ich dachte, Sie wären tot!«
Lloyd lächelte über die Verwirrtheit des alten Mannes. »Ich bin nur ein Besucher und sehr lebendig.«
»Wirklich, Sir? Nun ja, in meinem armen alten Kopf ist nur noch Rührei. Ja, stimmt, der alte Earl ist gestorben. Wann war das gleich? Vor fünfunddreißig oder vierzig Jahren, nicht wahr? Wer sind Sie denn, junger Herr?«
»Ich bin Lloyd Williams. Sie kannten meine Mutter, Ethel Williams.«
»Sie sind der Junge von Eth? Na, wenn das so ist, verstehe ich natürlich …« Er verstummte abrupt.
»Was verstehen Sie, Mr. Peel?«, fragte Daisy.
»Ach, nichts«, sagte der alte Mann und wiederholte: »In meinem alten Schädel ist alles Rührei.«
Auf die Frage, ob er etwas brauche, schüttelte Peel den Kopf und erklärte, er habe alles, was ein Mann sich wünschen könne. »Ich esse nicht viel, und ich trinke kaum mal ein Bier. Ich habe genug Geld, um mir Pfeifentabak zu kaufen und die Zeitung. Wird Hitler bei uns einmarschieren, was glauben Sie, junger Lloyd? Ich hoffe, dass ich das nicht mehr erleben muss.«
Daisy machte ein wenig in der Küche des alten Mannes sauber, obwohl Hausarbeit nicht gerade ihre Stärke war. »Ich fasse es nicht«, sagte sie leise zu Lloyd. »Er lebt in diesem Dreck und sagt, er hat alles. Er glaubt sogar, er hat noch Glück!«
»In gewisser Weise stimmt das sogar. Viele Männer in seinem Alter sind schlechter dran«, entgegnete Lloyd.
Sie unterhielten sich eine Stunde lang mit Peel. Ehe sie gingen, äußerte der alte Mann einen Wunsch. Er blickte auf die Bilderreihe an der Wand und sagte: »Bei der Beerdigung des alten Earls wurde ein Foto gemacht, das ich gern hätte. Ich war damals noch ein einfacher Diener, nicht der Butler. Wir stellten uns alle am Leichenwagen auf. Der Fotograf hatte eine große alte Kamera mit einem schwarzen Tuch, nicht so ein kleines modernes Ding. Wann war das gleich? Es muss 1906 gewesen sein.«
»Ich glaube, ich weiß, wo das Foto ist«, sagte Daisy. »Wir gehen nachsehen.«
Sie kehrten zum Haus zurück und gingen in den Keller hinunter. Der Abstellraum neben dem Weinkeller war ziemlich groß und vollgepackt mit Kisten, Truhen und nutzlosen Dingen: einem Schiff in einer Flasche, einem Modell Tŷ Gwyns aus Streichhölzern, einer Miniaturkommode, einem Degen in einer reich verzierten Scheide.
Daisy und Lloyd machten sich daran, die alten Fotos und Zeichnungen durchzusehen. Daisy musste vom Staub niesen, bestand aber darauf, weiterzumachen.
Schließlich fanden sie die Fotografie, die Peel sich wünschte. Sie lag in einer Schachtel, zusammen mit einem noch älteren Foto des alten Earls. Lloyd blickte erstaunt darauf. Das Sepiafoto zeigte einen jungen Mann in der Uniform eines viktorianischen Heeresoffiziers. Er sah Lloyd zum Verwechseln ähnlich.
»Schauen Sie sich das mal an«, sagte er und reichte Daisy das Foto.
»Meine Güte, diese Ähnlichkeit! Das könnten Sie sein, wenn Sie einen Backenbart
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