Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
das nun als Offizierskasino diente. Er war innerlich aufgewühlt und brachte kaum einen Bissen von der Rinderpastete aus der Dose herunter. An der Diskussion am Tisch, in der es um die Schlacht um Norwegen ging, beteiligte er sich nicht.
»Was ist mit Ihnen, Williams? Träumen Sie am helllichten Tag?«, fragte Major Lowther.
»Entschuldigen Sie, Sir«, sagte Lloyd, aus seinen Gedanken aufgeschreckt. Rasch ließ er sich eine Ausrede einfallen. »Ich komme nur nicht darauf, welches der höhere Rang in der deutschen Wehrmacht ist, General oder Generaloberst «
»Generaloberst«, sagte Lowther und fügte leise hinzu: »Vergessen Sie nur nicht den Unterschied zwischen ›meine Frau‹ und ›deine Frau‹.«
Lloyd spürte, wie er errötete. Seine Freundschaft mit Daisy war also nicht so diskret und verborgen geblieben, wie er geglaubt hatte. Selbst Lowther hatte etwas bemerkt. Lloyd lag die Erwiderung auf der Zunge, dass Daisy und er nichts Ungehöriges getan hätten, doch er schwieg. Er fühlte sich schuldig, auch wenn er es nicht war. Aber konnte er die Hand aufs Herz legen und die Lauterkeit seiner Absichten beschwören? Nein, das konnte er nicht. Er wusste, was Grandah gesagt hätte: »Wer begehrlichdas Weib eines anderen betrachtet, hat in seinem Herzen bereits Ehebruch begangen.«
Als Lloyd an seine Großeltern dachte, drängte sich ihm die Frage auf, ob sie die Wahrheit darüber wussten, wer seine leiblichen Eltern waren. Über seinen wirklichen Vater und seine echte Mutter im Zweifel zu sein weckte in ihm ein Gefühl der Verlorenheit, als träumte er, aus großer Höhe ins Nichts zu fallen. Wenn er belogen worden war, was seine wirklichen Eltern betraf, was mochte dann sonst noch alles Lüge gewesen sein?
Lloyd beschloss, seine Großeltern zu befragen. Heute, an einem Sonntag, war eine gute Gelegenheit dazu. Kaum hatte er sich im Kasino verabschiedet, ging er den Hügel hinunter zur Wellington Row.
Unterwegs kam ihm der Gedanke, dass seine Großeltern womöglich alles abstritten, wenn er sie geradeheraus fragte, ob er Maud Fitzherberts Sohn sei. Er beschloss, langsam und vorsichtig auf die Frage zuzusteuern; auf diese Weise erfuhr er vielleicht mehr.
Seine Großeltern saßen in der Küche, als Lloyd bei ihnen eintraf. Für sie war der Sonntag der Tag des Herrn und gehörte ganz dem Glauben. Am Sonntag lasen sie weder Zeitung, noch hörten sie Radio. Trotzdem freuten sie sich, Lloyd zu sehen, und Grandmam setzte wie immer Tee auf.
»Ich würde gern mehr über meinen richtigen Vater wissen«, begann Lloyd. »Mam sagt, dass Teddy Williams bei den Welsh Rifles war, wusstet ihr das?«
»Ach, was tust du denn die Vergangenheit ausgraben?«, erwiderte Grandmam. »Dein Vater ist Bernie Leckwith.«
Lloyd widersprach ihr nicht. »Ja, Bernie ist mir in jeder Hinsicht ein Vater gewesen.«
Grandah nickte. »Ein Jude, aber ein guter Mensch, da beißt die Maus keinen Faden ab.« Er nahm wohl an, dass er sich umwerfend tolerant gab.
Lloyd ging nicht darauf ein. »Trotzdem bin ich neugierig. Habt ihr Teddy Williams mal kennengelernt?«
Grandah blickte wütend drein. »Nein. Uns war er ein Stachel im Fleisch.«
»Er ist als Diener eines Gastes nach Tŷ Gwyn gekommen«, sagte Grandmam. »Wir haben nie erfahren, dass deine Mutter inihn verliebt war, bis sie nach London gefahren ist, um ihn zu heiraten.«
»Warum wart ihr nicht auf der Hochzeit?«
Beide schwiegen. »Erzähl ihm die Wahrheit, Cara«, sagte Grandah schließlich. »Aus Lügen entsteht nie etwas Gutes.«
»Deine Mutter hat der Versuchung nachgegeben«, begann Lloyds Großmutter. »Nachdem der Diener Tŷ Gwyn verlassen hatte, stellte sie fest, dass sie ein Kind unter dem Herzen trug.« So viel hatte Lloyd schon vermutet, und es erklärte ihr Ausweichen. »Dein Grandah war sehr wütend«, fügte Grandmam hinzu.
»Zu wütend«, sagte Grandah. »Ich vergaß, was Jesus Christus sprach: ›Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet.‹ Ihre Sünde war die Wollust, doch meine Sünde war die Hoffart.« Lloyd staunte, als er Tränen in den hellblauen Augen seines Großvaters entdeckte. »Gott hat ihr vergeben, aber ich nicht, für lange Zeit nicht. Bis dahin war mein Schwiegersohn tot, in Frankreich im Feld geblieben.«
Lloyd war noch aufgewühlter als zuvor. Er hörte eine neue detaillierte Geschichte, die sich von dem unterschied, was seine Mutter ihm erzählt hatte, und die völlig anders war als Daisys Theorie. Weinte Grandah um einen Schwiegersohn,
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