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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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reingelassen, die hat sich einfach an mir vorbeigedrängt!«
    Daisy blickte Boy an. »Ich habe versucht, unser Zuhause einladend für dich zu gestalten. Trotzdem ziehst du das hier vor!«
    Boy setzte zu einer Erwiderung an, hatte aber Mühe, die richtigen Worte zu finden, und stammelte vor sich hin.
    Das Mädchen auf der Couch – Joanie – sagte: »Das ist doch nur ’n bisschen Spaß, Schätzchen. Mach doch mit. Vielleicht gefällt’s dir.«
    Pearl, die Ältere, musterte Daisy von Kopf bis Fuß. »’ne hübsche Figur hat sie ja.«
    Daisy wusste, dass die beiden sie weiter verhöhnen würden, wenn sie ihnen die Gelegenheit bot. Sie beachtete die Frauen gar nicht, blickte stattdessen Boy an.
    »Komm ja nicht mehr zu mir ins Bett!«, sagte sie. »Nie wieder. Ich will mich nicht anstecken.«
    Dann verließ sie erhobenen Hauptes das Haus, obwohl sie sich entwürdigt und verschmäht fühlte.
    In diesem Moment war ein paar Straßen weiter ein ohrenbetäubender Knall zu hören. Die Luftschutzsirenen stimmten ihr schauriges Geheul an. Daisy erschrak. Hatten die Deutschen mit der Bombardierung Londons begonnen?
    Eine weitere gewaltige Explosion ganz in der Nähe ließ den Boden beben. Fenster klirrten.
    Daisy blickte nach oben.
    Und erschauerte.
    Der Himmel hing voller Flugzeuge. Die Maschinen flogen hoch, bestimmt zehntausend Fuß; trotzdem schienen sie die Sonne zu verdunkeln. Es waren Hunderte von Bombern und Jägern, eine Armada aus Flugzeugen, die sich zwanzig Meilen weit auszubreiten schien. Im Osten, in Richtung der Häfen und des Waffenarsenals in Woolwich, stiegen Rauchwolken auf, wo die deutschen Bomben einschlugen. Das Bombardement war nun so heftig, dass die Detonationen ineinander übergingen und zu einem Geräusch verschmolzen, das sich wie das Brüllen der Brandung an einer sturmgepeitschten Felsküste anhörte.
    Daisy erinnerte sich, dass Hitler erst letzten Mittwoch eine Rede vor dem Reichstag gehalten hatte, in der er sich über die Verruchtheit britischer Bombenangriffe auf Berlin empört und gedroht hatte, britische Städte zur Vergeltung »auszuradieren«. Offenbar hatte er es bitterernst gemeint. Die deutsche Luftwaffe versuchte, London in Schutt und Asche zu legen.
    Es war der bisher schlimmste Tag in Daisys Leben. Nun wurde ihr klar, dass es auch der letzte sein konnte.
    Doch sie brachte es nicht über sich, in das Haus zurückzukehren und im Keller Schutz vor den Fliegerbomben zu suchen. Sie wollte weg von hier, nach Hause, wo sie sich ausweinen konnte.
    Hastig setzte sie Helm und Schutzbrille auf. Sie widerstand dem irrationalen, aber heftigen Verlangen, sich hinter die nächste Mauer zu werfen. Stattdessen schwang sie sich auf ihr Motorrad und fuhr davon.
    Weit kam sie nicht.
    Zwei Straßen weiter schlug vor ihren Augen eine Bombe in ein Haus ein. Daisy machte eine Vollbremsung. Sie spürte die Schockwelle der Detonation, gefolgt von einem Schwall heißer Luft, die ihr für einen Moment den Atem nahm. Dann sah sie, dass dieBombe ein Loch ins Dach gerissen hatte. Flammen loderten in dem Gebäude, als wäre Petroleum aus einer riesigen Lampe verspritzt und hätte Feuer gefangen.
    Im nächsten Moment stürzte ein Mädchen von zehn, zwölf Jahren schreiend und mit brennendem Haar aus dem Haus und rannte direkt auf Daisy zu.
    Daisy sprang vom Motorrad, riss sich die Lederjacke herunter, warf sie dem Mädchen um den Kopf und zog sie straff, um die Flammen zu ersticken.
    Die Schreie des Mädchens verstummten; es schluchzte nur noch herzzerreißend. Vorsichtig nahm Daisy die Jacke herunter und sah, dass die Kleine ihr ganzes Haar verloren hatte.
    Daisy blickte in beide Richtungen die Straße hinunter. Ein Mann mit einem Stahlhelm und einer Armbinde, die ihn als Luftschutzwart auswies, kam mit einem Blechkoffer herbeigerannt, auf den ein weißes Erste-Hilfe-Kreuz gemalt war.
    Das Mädchen starrte Daisy an und schrie verzweifelt: »Meine Mom ist noch da drin! Wir wohnen unten!«
    »Beruhige dich, Kleine«, sagte der Luftschutzwart. »Lass mich dich erst mal ansehen.«
    Daisy ließ das Mädchen bei ihm und rannte zur Eingangstür des Hauses. Es war ein Altbau, den man in schäbige Wohnungen unterteilt hatte. Die oberen Etagen standen in Flammen, doch das Erdgeschoss war noch zugänglich. Daisy entdeckte eine offen stehende Tür und gelangte in eine Küche. Eine Frau lag reglos am Boden, und in einer Wiege lag schreiend ein Kleinkind. Daisy nahm das Kind in die Arme und rannte hinaus.
    Das Mädchen mit dem

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